
Konzerte in der Kirche sind in dieser Jahreszeit an der Tagesordnung, in einer Synagoge allerdings eine kleine Sensation. Möglich gemacht haben das Ereignis die Martinu-Festtage, das 150-Jahr-Jubiläum der Grossen Synagoge Basel und Rabbi Moshe Baumel, der damit ein Zeichen im (relativ) liberalen Umfeld der Schweiz setzte. Das gebotene Konzert war ganz auf die Umgebung abgestellt und liess die prachtvolle Synagoge in einer neuen Art erscheinen.
Im Mittelpunkt stand Martinus «Weissagung des Jesaja» für Soli, Männerchor, Viola, Trompete und Pauke, in dem der schwer kranke Komponist die Kapitel 24 und 21 des Propheten aus dem Alten Testament mit den Vorstellungen des Zorns und der Zerstörung vertonte. Darum herum war ein dramaturgisch kluges Programm gruppiert, sodass die zwei Stunden wie im Flug vergingen.
Nicht nur leichte Kost
Als «spektakulär» wurde das Konzert angekündigt. Diese Qualifikation gilt sowohl für die unzähligen Christinnen und Christen, die zum ersten Mal eine Synagoge von innen erleben durften, wie für die Jüdinnen und Juden, die dies mittrugen. Neben Martinu waren kurze Stücke von Ravel, Milhaud, Ullmann und Petr Eben zu hören, wobei Letzterer mit drei Werken als roter Faden das Programm strukturierte.
Doch Ebens Musiksprache ist nicht gerade leichte Kost, wie das Eingangsstück «Chad Gadyoh» für Männerchor a cappella mit kurzen Tenor- und Bass-Soli zeigte. Das aramäisch vorgetragene sperrige Stück stellte selbst den sonst klangschön singenden WDR-Rundfunkchor unter Nicolas Fink vor Probleme.
Ausgenommen war der «jammernde» Solo-Tenor Tal Koch, der gekonnt den geschlagenen Hund imitierte. Die vorgängige kluge Einführung durch Rabbi Baumel erleichterte das Verständnis erheblich.
Petr Ebens «Lied der Ruth für hohe Stimme und Klavier» zeigte eine andere Facette: eine Frau, die sich als «Fremde» ganz in das Volk der Hebräer integriert hat. Der Sopranist Bruno de Sá – eine Frau darf in der Synagoge nicht singen – verlieh mit seiner klaren hellen Stimme und guter Phrasierung der Musik eine hohe Eindringlichkeit.
Dazwischen gab es Französisches: «Deux mélodies hébraïques» von Ravel und den 121.Psalm fu?r Männerchor op. 72 von Darius Milhaud.
Maurice Ravel erkundet in den Liedern eine für ihn «exotische» Kultur: Das zentrale aramäische Kaddisch, indem er den Kantorengesang durch spärliche Klavierklänge begleiten lässt, steht dem jiddischen Lied «L'Enigme Eternelle» mit impressionistischer Atmosphäre gegenüber.
Den zweiten Block bildeten Viktor Ullmanns «Drei hebräische Knabenchöre» a cappella und «Drei jiddische Männerchöre» a cappella. Alle Stücke schrieb Ullmann im Ghetto Theresienstadt, wo er als «Leiter des Studios für Neue Musik» wirkte, bis er im Oktober 1944 in Auschwitz vergast wurde. Die Kraft und Lebensfreude dieser Gesänge liessen die Grosse Synagoge Basel geradezu erstrahlen.
Lebhaft und unbeschwert die Kinderchöre, von der Knabenkantorei Basel unter Katharina Haun frisch und spontan gesungen. Kraftvoll und bestimmt die drei Männerchöre, mit hörbarer Freude vom Sprechgesang bis zum humorvollen «tradiridiridom» vorgetragen vom WDR-Rundfunkchor. Es war ein Kontrapunkt, der offenbar so sehr verstörte, dass danach Petr Ebens «Saul bei der Prophetin in En-Dor» fu?r Violine und Klavier (Robert Kolinsky) eingebaut wurde. Ein destruktives Stück voller repetitiver Ton- und Rhythmus-Mustern.
Apokalypse mit Martinu
Es war, als ob man die Zuhörerschaft auf die Apokalypse Martinus einstimmen wollte, obwohl Rabbi Baumel eine tiefsinnige Einführung gab. In der «Weissagung Jesajas» unterstreicht der Komponist mit Wucht die Aussagen des Textes, mit rauem, kargem Ton der Instrumente die Öde des Landes, mit Paukenwirbeln das verlassene Tor.
Auch der Männerchor stimmte in Martinus bezwingende Elementargewalt der Apokalypse ein. Die Solisten Bruno de Sá (Sopran), David Feldman (Counter) und Marc-Olivier Oetterli (Bass) passten stimmlich hervorragend dazu. Und doch, die Trompete (Huw Morgan) sendete bei «kaum ein Mensch bleibt» am Ende von Psalm 24 ein hoffnungsvolles Zeichen der Zukunft.
Das Konzert ist zu hören am 1. 12., 22 Uhr, auf Radio SRF 2.
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Zum ersten Mal ertönt Musik in der Synagoge
Die Abschlussveranstaltung der Martinu-Festtage liess am Sonntag das prächtige Gotteshaus mit einem öffentlichen Konzert auf neue Art erscheinen.