Zuerst ausgenutzt, dann abgestraft
Mobbing an der Sek Reinach: Der mehrfache Robotik-Preisträger und ETH-Student Sean Goff über seinen Fall.

Es dürfte nicht vermessen sein, den Baselbieter Sean Dylan Goff als vielversprechendes Nachwuchstalent in der Schweizer Elektroingenieurbranche zu bezeichnen. Bereits im Alter von 14 Jahren gewann das hochbegabte Kind den Schweizer Jugendwettbewerb «Bugnplay» in der Sparte Robotik. Auch bei den «Twistygames» der Migros Schweiz räumte der leidenschaftliche Tüftler ab: Seine Konstruktion, ein ferngesteuerter Roboter, der fahren und schwimmen konnte und dessen Augen in verschiedenen Farben leuchteten, begeisterte die Juroren und bescherte ihm ein Preisgeld von 9999 Franken. Das war im Jahr 2013.
Wenn der heute 19-jährige ETH-Student auf seine Jugendzeit zurückblickt, dann nicht nur mit guten Gefühlen. Goff besuchte die Sekundarschule Reinach und machte dort Erfahrungen, die ihn für sein Leben prägten. Noch immer fühlt er sich von seinem damaligen Klassenlehrer, nennen wir ihn Y., und den beiden Schulleitern Roland Herz und Michael à Wengen ausgenutzt und hintergangen. Alle drei sind nach wie vor in gleicher Funktion tätig.
Als der Ex-Schüler in den letzten Tagen in der BaZ von den schweren Mobbing-Vorwürfen gegen Exponenten der Schule las, war er nicht überrascht. «Mich wundert vielmehr, dass die Missstände an der Sek Reinach nicht schon viel früher den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben.» Er habe selber erlebt, wie sich Lehrer im Unterricht beispielsweise über Eltern von Klassenmitgliedern lustig gemacht und sie als peinlich hingestellt hätten. Oder wie über die Krankheiten von Schülern gesprochen worden sei, um die Betroffenen blosszustellen.
Prüfungen heruntergeladen
Es war im Februar 2013 – Sean war 15 Jahre alt –, als in der Sekundarschule Reinach ein «Skandal» aufflog: Es kam ans Licht, dass sich eine Gruppe von Schülern Zugriff aufs Netzwerk der Schule verschafft und mehrfach Prüfungen von Klassenlehrer Y. heruntergeladen hatte. Der Verdacht fiel auf Goff, der – so ist es den Akten zu entnehmen, welche der BaZ vorliegen – seine Beteiligung sogleich einräumte und sich in einem Brief entschuldigte.
«Wegen meiner Computerkenntnisse hatten mich die Lehrer häufig um Hilfe gebeten. Einmal wurde ich sogar während eines Französischtests vor die Türe gebeten, um bei einem Laptop das Passwort zurückzusetzen. Ich war quasi der Administrator der Schule und kannte deshalb den Zugangscode», erzählt Goff.
Eines Tages habe er sich in den Kopf gesetzt, dass es doch eine lustige Idee wäre, Smileys auf dem Monitor beim Schulhauseingang einzublenden. Um seinen Lausbubenstreich in die Tat umzusetzen, loggte sich der jugendliche IT-Freak ins System ein. Als Mitschüler von seinen Zugriffsmöglichkeiten erfuhren, entstand der Plan, die Dateiordner von Y. nach Prüfungen zu durchforsten. Sean tat dies zweimal, wie er sagt, dann sei es ihm mulmig bei der Sache geworden und er habe sich zurückgezogen. Seine Kollegen, darunter ein anderer PC-Kenner, hätten bis zum grossen Knall weitergemacht.
Wie ein Krimineller behandelt
Es sei ausser Frage, dass er Mist gebaut habe, hält der ehemalige Sek-Schüler fest. Wie die beiden Schulleiter und Klassenlehrer Y. jedoch bei der Aufarbeitung der Vorkommnisse mit ihm umgegangen seien, wie sie dramatisiert, im Schulhaus Unwahrheiten verbreitet und ihn eingeschüchtert hätten, sei sehr belastend und jenseits jeglicher Verhältnismässigkeit gewesen. Er schildere seine Erlebnisse der BaZ in der Hoffnung, dass in Reinach endlich Konsequenzen gezogen würden.
«Man lud mich ins Lehrerzimmer vor und warf mir wie in einem Verhör übelste Vergehen vor. Ich hätte Passwörter gehackt, private E-Mails ausspioniert und Prüfungsbewertungen manipuliert», erinnert sich Goff. «Zuvor waren die Schulleiter und Lehrer wegen Computerproblemen immer zu mir gekommen. Nun plötzlich wurde ich als Krimineller hingestellt. Herz und à Wengen behaupteten, der Schaden belaufe sich auf 40'000 Franken, man werde mich auf diese Summe verklagen.» Sein Klassenlehrer Y. habe in einer Schulstunde angeordnet, dass alle Schüler aufschreiben müssten, was Sean gemacht habe. «Ich sass schweigend da. Mir sollte Angst eingeflösst werden.»
Die Massnahmen, welche die beiden Schulleiter ergreifen wollten, waren drastisch: Rauswurf aus der Schule, Versetzung in eine andere Gemeinde, zudem Einteilung in ein mehrwöchiges Time-out für Schwererziehbare. Selbst die Baselbieter Jugendanwaltschaft – Y. und Schulleiter Roland Herz hatten den Jugendlichen doppelt angezeigt – zeigte sich im März 2013 befremdet, wie aus einer E-Mail-Korrespondenz zwischen Seans Mutter und dem Untersuchungsbeauftragten hervorgeht. Für die vorgesehenen Sanktionen gebe es keinen Grund.
Trotz dieser schriftlich belegten Aussagen stellen die beiden Schulleiter Michael à Wengen und Roland Herz die Sachlage auf Anfrage der BaZ komplett anders dar: «Wir haben uns schulseitig auch explizit dazu bekannt, dass der Schüler nicht von der Schule verwiesen wurde. Es war uns wichtig, dass er die obligatorische Schulzeit abschliessen kann. Dass dennoch Ressentiments bestehen, tut uns leid.» Goff widerspricht: «Das stimmt einfach nicht, aber so war es in Reinach schon immer.»
Als Bagatellfall geahndet
Nach Darstellung von à Wengen und Herz habe der Ex-Schüler 265 alte sowie zwei aktuelle Tests heruntergeladen und jeweils die Version mit den Lösungen der Klasse zur Verfügung gestellt. «Dieses Ereignis 2013 war eine Handlung, die ein Eindringen in die Privatsphäre darstellte, die ihresgleichen nicht kannte und kennt. Der Jugendliche wurde für die Tat in der Hauptsache verurteilt», halten sie fest. Als Beweis schicken sie der BaZ den Entscheid der Jugendanwaltschaft vom 18. Juni 2013. Tatsächlich geht daraus hervor, dass Goff wegen «Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem» für schuldig befunden wurde.
Was à Wengen und Herz jedoch verschweigen: In allen anderen Punkten wurde Goff freigesprochen. Im Strafbefehl sah die Jugendanwältin die Tatbestände der «unbefugten Datenbeschaffung», der «Sach- und Datenbeschädigung» sowie der «Verletzung des Geheim- und Privatbereichs» als nicht erwiesen an. Und was die Schadenersatzforderung betreffe, habe die Schule diese «bis anhin weder beziffert noch belegt».
Insgesamt wurde Seans Handeln als Bagatellfall gewertet, der mit zehn halben Tagen gemeinnützigen Diensts (davon sechs auf Bewährung) geahndet wurde. Der blitzgescheite Jung-Programmierer kam der Auflage im Altersheim nach, wo er Rüebli und Sellerie schälte.
Lehrer führte «Sündenregister»
Der inzwischen zu einem jungen Erwachsenen herangereifte Goff ortet an der Sekundarschule Reinach ein grundsätzliches Führungsproblem. Strafen würden willkürlich verhängt, oft werde masslos übertrieben. So habe er als 14-Jähriger für Klassenlehrer Y. ein «Sündenregister» aufsetzen müssen (siehe Bild).

Darin gesteht Sean etwa ein, eine Metallkugel auf dem Schulweg gefunden, mitgenommen und «auf dem Pausenplatz herumgerollt» zu haben. Ebenso gibt er zu: «Ich habe ein Stück Kreide in der Tür eingeklemmt.» Diese und andere «Taten» reichten aus, um zusätzlich auch von der Schulleitung zum Krisengespräch heranzitiert zu werden.
«Ich weiss nicht, wie sich unser Sohn entwickelt hätte, wenn wir uns gegen diese skandalöse Schulleitung nicht entschieden zur Wehr gesetzt hätten», sagt Goffs Mutter zur BaZ. Um Sean zu schützen, habe er das letzte Quartal vor dem Übertritt ins Gymnasium in einer Privatschule verbracht. Ein Verbleib an der Sekundarschule Reinach sei nach dem ganzen Theater unter keinen Umständen mehr infrage gekommen.
Einen Moment werde sie nicht mehr vergessen: «An dem Tag, als mein Sohn unter himmeltraurigen Umständen von der Sek Reinach verabschiedet wurde, hat ihn die Gemeinde als Ehrengast am Reinacher Preis geehrt – für seine Erfindung ‹Freezer›, mit der er in kurzer Zeit Eiswürfel herstellen konnte und die mit dem Schweizer ‹Gold Juniors Award› prämiert wurde.» Der spürbare Stolz der Mutter hat auch noch einen weiteren Grund: 2013, als Sean in der Schule in Ungnade fiel, wurde er für seine aussergewöhnlichen Leistungen zum Ehrenmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Mechatronische Kunst ernannt.
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