Trotz Finanzkrise: Zahl der Sozialfälle in Zürich sinkt
In der Stadt Zürich explodierten während Jahren die Kosten für die Sozialhilfe. Jetzt zeichnet sich eine Trendwende ab.
Von Janine Hosp Zürich – Der Stadtrat hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet und 2010 ausreichend Geld für die Sozialhilfe ins Budget eingeplant: 96 Millionen Franken. Zu seinerÜberraschung blieben Ende Jahr aber noch einige Millionen Franken übrig. «Zürich ist nicht so stark von der Krise betroffen, wie wir angenommen haben», sagt Sozialvorsteher Martin Waser (SP).Der Arbeitsmarkt habe sich erfreulich entwickelt und sei sehr aufnahmefähig; anders als in früheren Krisen hätten viele Arbeitslose eine Stelle gefunden, bevor sie ausgesteuert wurden und in der Sozialhilfe landeten. So sind in Zürich mehr Personen aus der Sozialhilfe entlassen worden als neue hinzugekommen. Die Zahl der Sozialhilfebezüger hat sich seit dem Höchststand im Jahr 2005 von 13 799 auf 12 644 Fälle (2010) verringert. Die Sozialhilfequote ist in Zürich sogar während der Finanzkrise gesunken – jene Zahl, welche die Sozialhilfebezüger in Relation zur Bevölkerung setzt und ein Indikator für das Ausmass der Armut ist. Der Sinkflug begann 2005, als sie bei 6,6 Prozent lag, 2009 belief sie sich noch auf 5,1 Prozent (Kanton Zürich: 3,3 Prozent). Vor einem Jahr erwartete der Sozialvorsteher noch, dass sie 2010 wieder steigt, stattdessen ist sie weiter gesunken. Folgen des Wandels Das ist erstaunlich. Lange galt Zürich als typische A-Stadt, wo überdurchschnittlich viele Arme, Arbeitslose, Alte oder Alleinerziehende leben. Bis 2005 ist die Zahl der Sozialhilfebezüger von Jahr zu Jahr scheinbar unaufhaltsam gestiegen und mit ihr die Kosten: 1990 gab die Stadt zusammen mit den Beiträgen von Bund und Kanton 62 Millionen Franken für die Sozialhilfe aus, 2005 waren es bereits 284 Millionen – mehr als viermal so viel. Grund dafür waren nicht nur die Konjunktureinbrüche, sondern auch der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft: Seit den 70er-Jahren sind viele Fabriken aus der Stadt gezogen und die verbliebenen Betriebe schraubten die Anforderungen an ihre Angestellten laufend nach oben; für Ungelernte blieben immer weniger Jobs. Manche Leute, die Sozialhilfe beziehen, sind aber bewusst vom Land in die Stadt gezogen. Dort kannte sie niemand und man zeigte nicht mit dem Finger auf sie. Ob die Sozialämter auf dem Land aber gezielt Druck auf sie ausgeübt haben wegzuziehen, lasse sich nicht beweisen, sagt Christina Stücheli, Sprecherin des Sozialdepartements. Es bestehe ein gesetzliches Abschiebeverbot und alle Gemeinden würden ein Auge darauf haben, dass es eingehalten werde. Heute stellt sich jedoch die Frage, ob nicht viele Sozialhilfebezüger und finanziell schlecht gestellte Personen von der Stadt in die Agglomeration ziehen müssen, weil sie keine bezahlbare Wohnung mehr finden; im Gegensatz zu Zürich ist die Sozialhilfequote 2009 in vielen Gemeinden gestiegen, wie der kantonale Sozialhilfebericht zeigt. «Es kommen jedes Jahr einige Sozialhilfeempfänger aus Zürich zu uns», sagt Armin Tremp, Abteilungsleiter Soziales der Gemeinde Schlieren. Es seien aber nicht mehr als in früheren Jahren. Dieselbe Auskunft geben die Abteilungsleiter in Adliswil, Affoltern am Albis, Regensdorf und Rümlang. Auch in ihren Gemeinden seien kaum mehr günstige Wohnungen zu finden, viele Liegenschaften würden renoviert. Wie Armin Tremp beobachtet, lassen sich nun eher Sozialhilfebezüger aus dem Aargau in Schlieren nieder – früher wären sie wohl gleich nach Zürich gezogen. Breites Angebot der Stadt «Wir unternehmen nichts, um Sozialhilfebezüger loszuwerden. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr», sagt der Stadtzürcher Sozialvorsteher Martin Waser. Die Stadt habe ein breites Angebot für Leute, die obdachlos werden könnten. Er glaubt nicht, dass sie von besser gestellten Personen von der Stadt ins Umland gedrängt werden. «Es findet keine Verdrängungsbewegung statt», meint er. Waser schliesst aber nicht aus, dass es in den kommenden Jahren so weit kommen kann. Tatsächlich sinkt die Sozialhilfequote nicht nur, weil weniger Personen Unterstützung brauchen, sondern weil immer mehr Personen nach Zürich ziehen und die Bevölkerung wächst. «Die Zuzüger haben in der Regel eine Anstellung», sagt Martin Waser. Oft sind es gut oder sehr gut Qualifizierte, die in die neuen – und eher teureren – Wohnungen ziehen. «Zürich ist nicht so stark von der Krise betroffen, wie wir angenommen haben.» Sozialvorsteher Martin Waser (SP)
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