Zürcher Heimleiter ärgern sich über Verhütung auf Vorrat
In mindestens einem Zürcher Heim ist die Pille für behinderte Frauen ab 16 laut Experten Pflicht. Glaubt man befragten Heimleitern, ist dies ein Einzelfall.
Von René Donzé, Simone Rau und Sarah Rüegger Die Antibabypille oder die Dreimonatsspritze als Bedingung für einen Platz in einem Behindertenheim? Laut Aiha Zemp, ehemalige Leiterin der Fachstelle Behinderung und Sexualität, ist genau dies in einem Zürcher Heim der Fall (TA von gestern). Auch Heidi Lauper, Co-Geschäftsführerin von Insieme, der Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung, hat schon von einem solchen Pillen-Zwang in Heimen gehört. Es hätten ihr schon mehrfach Eltern berichtet, dass die Pille ein Aufnahmekriterium in gewissen Heimen sei. Sie erachte das als respektlos. «Mit dieser Verhütung auf Vorrat wird die individuelle Situation der einzelnen Frauen ignoriert, die vielleicht gar kein Bedürfnis nach sexuellen Kontakten verspüren. Warum sollen sie die Pille nehmen, wenn sie sie gar nicht brauchen?» Zwar sei der Pillen-Zwang kein so invasiver Eingriff mehr, wie es die seit 2004 per Gesetz verbotene Sterilisation war, sagt Lauper. Doch noch immer sei fraglich, warum Frauen etwas einnehmen müssten, das sie «vielleicht weder wollen noch brauchen». Um welche Heime es sich handelt, wollen die beiden Frauen nicht sagen: Zemp fühlt sich dem Berufsgeheimnis verpflichtet, Lauper kann sich nicht mehr an die Anzahl oder Namen der Heime erinnern. Sie habe über die Jahre so viele Gespräche mit Eltern geführt, dass sie nicht mehr genau wisse, wer ihr wo und wann davon erzählt habe. «Unheimlich grosser Eingriff» Die Zürcher Heime selbst reagieren überrascht bis empört auf eine Umfrage des TA: «Einen Zwang zur hormonellen Verhütung kennen wir in unserem Heim nicht. Die Pille präventiv abzugeben, halte ich für einen unheimlich grossen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betreuten», sagt etwa Otto Wermuth, Bereichsleiter Wohnen im Werkheim Uster. Auch Beata Hochstrasser, Direktorin der Stiftung Züriwerk, sagt: «Todsicher zwingen wir die Bewohnerinnen nicht zur hormonellen Verhütung, das entspricht nicht unserem Menschenbild.» Sexualität sei für alle Menschen wichtig und gehöre zur Lebensqualität. Eine offene Haltung gegenüber Sexualität und Verhütung sei genau wie bei gesunden Menschen erforderlich. Für Stefan Eckhardt, Geschäftsführer der Stiftung Schulheim Dielsdorf, ist der Pillen-Zwang «ethisch fragwürdig». Zudem komme es ihm vor, als werde da «mit Kanonen auf Spatzen geschossen»: Gerade bei Schwerstbehinderten seien sexuelle Kontakte kein Thema, weil sie dazu körperlich nicht in der Lage seien. «Man kann doch nicht einfach prophylaktisch Medikamente verschreiben für den Fall eines Übergriffs.» Der Entscheid liegt bei der Frau Auch in der Winterthurer Brühlgut-Stiftung wird laut Geschäftsleitungsmitglied Renate Müller «keine Bewohnerin dazu gezwungen, die Pille zu nehmen». Die jungen Menschen würden unterstützt und begleitet, auch in der Frage von Sexualität und Schwangerschaft. Führe eine Frau eine Beziehung oder zeige Interesse an einer Schwangerschaft, versuche man ihr aufzuzeigen, welch grosse Verantwortung mit einem Kind auf sie zukäme. Der Entscheid, ob und wie sie verhüte, liege aber bei ihr, allenfalls unter Beizug des Beistandes. «Wir könnten eine Schwangerschaft nicht verhindern, wenn eine Frau das unbedingt will», sagt Müller. Dazu sei es in ihrer Stiftung aber noch nie gekommen. Für Ruedi Hofstetter, Chef des Kantonalen Sozialamtes, ist die Verhütungspflicht in Behindertenheimen neu: «Ich habe noch nie gehört, dass ein Zürcher Heim das so handhabt.» Auf den ersten Blick sei es für ihn nicht nachvollziehbar, weshalb ein Heim allen Frauen vorschreibe, die Pille zu nehmen. Doch er wisse nicht, um welches Heim es sich handle und ob diese Pflicht tatsächlich existiere. «Wenn es stimmt und uns der Name des Heims mitgeteilt wird, gehen wir der Sache nach.» Bildlegende.Foto: Vorname Name, Agentur
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