Raue Worte nach Tempo-30-Debatte«Ich rate den immer gleichen Abwesenden, ihr Mandat niederzulegen»
Weil mehrere bürgerliche Grossräte gefehlt haben, kann Rot-Grün mit dem Vorstoss für eine flächendeckende Geschwindigkeitsreduktion in Basel überraschend einen Erfolg verbuchen.

Im Nachhinein ist auch klar, weshalb ein Bürgerlicher kurz vor Mittag versucht hat, die Nachmittagssitzung an diesem Donnerstag zu verhindern: Wegen der Abwesenheiten im Grossen Rat hat Rot-Grün es später überraschend geschafft, die Forderung nach integral Tempo 30 in Basel-Stadt in ursprünglicher Schärfe durchzubringen.
Mit einer Stimme Unterschied, 47 gegen 46, hat der Grosse Rat entschieden, den Vorstoss in der verbindlichen Form einer Motion zu belassen und nicht in einen Anzug abzuschwächen. Als Anzug hätte das Geschäft die Regierung formell lediglich dazu verpflichtet, das Anliegen zu prüfen und darüber zu berichten. Wären alle Politikerinnen und Politiker bei der Abstimmung vor Ort gewesen, hätte das Resultat wohl anders ausgesehen.
Bei SP und Grün-Alternativem Bündnis gab es nur eine Abwesenheit (Toya Krummenacher, SP), der Rest der beiden Fraktionen sprach sich einstimmig für die Motion aus. Weiter rechts gab es insgesamt fünf Abwesende. Bei der Abstimmung fehlten gemäss Abstimmungsübersicht des Grossen Rats: Raoul Furlano und André Auderset von der LDP, Felix Wehrli von der SVP sowie die Freisinnigen Erich Bucher und Mark Eichner. Bis auf ein Abweichler von der Mitte/EVP, Franz-Xaver Leonhardt, stimmten hier alle für eine Weiterbehandlung als Anzug.
«Ärgerlich!»
Joël Thüring von der SVP war es, der am Morgen erfolglos den Antrag stellte, die Nachmittagssitzung zu streichen. Nach dem Beschluss übt er auf Twitter scharfe Kritik an seinen Ratskollegen: «Ärgerlich! Die verkehrspolitisch wichtigste Abstimmung geht verloren, weil 5 (!) bürgerliche Parlamentarier es vorziehen, sich zu sonnen oder an irgendwelchen anderen ‹wichtigen› Terminen zu hocken. Wir machen es den Linken schon immer sehr einfach.» Und in der Kommentarspalte unter seinem Eintrag doppelt Thüring nach: «Ich rate den immer gleichen Abwesenden, ihr Mandat niederzulegen.»
Die Motion verlangt nun von der Regierung, binnen zweier Jahre ein Umsetzungskonzept für flächendeckend Tempo 30 im Siedlungsgebiet auszuarbeiten. Gleichzeitig muss sie einen «umfassenden Massnahmenplan zur tatsächlichen Priorisierung und Beschleunigung des ÖV» vorlegen.
Angesichts des Bundesrechts wird es aber kaum möglich sein, dass jede Strasse auf Stadtgebiet verlangsamt wird. Das hat die Regierung in ihrer Stellungnahme erläutert, und auch die Ratslinke hat in der Debatte eingeräumt, dass es wohl Ausnahmen geben dürfte.
Versprechen reichte nicht
Die Regierung wollte den Vorstoss in der weniger verbindlichen Form eines Anzugs überwiesen haben. Die zuständige Verkehrsdirektorin Esther Keller (GLP) führte aus, dass sie das Anliegen teile, und versprach, das veraltete Tempo-30-Konzept ohnehin überarbeiten zu wollen. Sie warnte vor zu hohen Erwartungen, was die gleichzeitige Beschleunigung des ÖV angeht: «Tempo 30 wird auf gewissen Strassen eine Auswirkung haben. Insbesondere nachts schlägt das zu Buche: Der Bus hätte dann freie Fahrt, wird aber ausgebremst.» Gemäss den Ausführungen der Regierung hätte es am Resultat kaum etwas geändert, ob der Vorstoss nun als Motion oder als Anzug überwiesen wird. Doch Kellers Versprechen war für Rot-Grün nicht genug. (Einen Hintergrundartikel zu Motiven für Tempo 30 finden Sie hier: «Die Freiheit, jederzeit in sein Auto zu steigen, müssen wir hinterfragen.»)
Als die Form des Vorstosses dann bestimmt war und es nur noch um die Überweisung ging, fiel das Abstimmungsresultat mit 51 Ja- gegen 41 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung deutlicher aus. Der Unterschied erklärt sich damit, dass vier Grünliberale den Vorstoss auch in der verbindlichen Form unterstützten.
Einsprachen angekündigt
Christian Greif, der Geschäftsführer der hiesigen Sektion des Automobil-Clubs Schweiz (ACS), stellt auf Anfrage klar: «Bei Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen werden wir weiterhin Einsprachen machen.» Seine Hoffnung stützt sich dabei auf mögliche Unverträglichkeiten mit Bundesrecht.
Der ACS und andere Verbände sammeln derzeit Unterschriften für eine Petition gegen flächendeckend Tempo 30. Greif rechnet damit, dass mehrere Tausend Personen das Anliegen unterstützen werden, und fordert so politisches Gehör ein. Für ihn ist klar: «Mit Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen soll der motorisierte Individualverkehr schikaniert werden.»
Die Abwesenheiten auf bürgerlicher Seite kommentiert er folgendermassen: «Es ist sehr bedauerlich, dass einmal mehr die Linken geschlossen zusammenstehen und bei uns entscheidende Personen fehlen.»
Das Geschäft dürfte die Bürgerlichen parteiintern auch nach dieser Debatte noch umtreiben: Nicht nur im Sinne der Verkehrspolitik, sondern auch der Disziplin.
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