Würden alle so wie sie leben – es bräuchte mehr als zwei Erden
Die Regierungsratskandidaten leben ökologisch auf zu grossem Fuss, auch der Grüne Martin Graf.
Von Stefan Häne Zürich – Eine «radikale Neuordnung» der Wirtschaft haben die Grünen jüngst postuliert. Die Wirtschaft soll so funktionieren, dass eine Erde genügt, um den Lebensstil der Bevölkerung dauerhaft zu ermöglichen. Diese Forderung nach vollendeter Nachhaltigkeit bringt die Grünen in Verlegenheit, denn ihre Exponenten leben die Doktrin selber nicht konsequent. Martin Graf, Regierungsratskandidat der Grünen, hat auf Anregung des «Tages-Anzeigers» seinen ökologischen Fussabdruck errechnet. Auf der Internetsite der Nichtregierungsorganisation Global Footprint Network hat er Fragen zu seinem Lebensstil beantwortet. Das Resultat: Würden alle Menschen so leben wie Graf, bräuchte es 1,8 Erden. Das ist zwar deutlich weniger als der durchschnittliche Verbrauch in der Schweiz (2,8) oder den USA (4,5), aber noch immer mehr als der globale Durchschnitt (1,5) und der angestrebte Zielwert (1). Spitzenverbraucher sind die Vereinigten Arabischen Emirate mit 6,0. Auf der anderen Seite der Rangliste steht Osttimor mit 0,2. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten für die Regierungsratswahl vom 3. April lebt Graf ökologisch auf dem kleinsten Fuss. Dahinter folgen Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP) und Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP). Am Tabellenende liegt Ursula Gut (FDP). Die Winterthurer Nationalrätin Maja Ingold (EVP) hat als Einzige darauf verzichtet, den Test zu machen, da sie «nicht auf eine Zahl festgenagelt werden» will. Wenig überraschend schneiden die Kandidaten von SP und Grünen (2,13) im Durchschnitt besser ab als die bürgerliche Konkurrenz (2,36). Die Differenz ist jedoch nicht so gross, wie es der rot-grüne Ruf nach einer ökologischen Wende nahelegt. Zweifel an der Ehrlichkeit Auffallend ist, dass kein Kandidat über dem (steigenden) Schweizer Durchschnittswert von 2,8 liegt. Bernhard Piller von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) schliesst nicht aus, dass die Kandidaten das Testergebnis beschönigt haben: «Die Werte erscheinen mir sehr tief.» Die Kandidaten seien allesamt gut verdienend, sagt Piller. «Wer mehr verdient, verbraucht mehr.» Zurückhaltender äussert sich der WWF Schweiz. «Es scheint, dass die Kandidatinnen und Kandidaten umweltbewusster leben als die Schweizer Bevölkerung», sagt Medienchef Fredi Lüthin. Der WWF hofft, dass sich «dieses private Umweltbewusstsein in entsprechenden politischen Taten manifestieren wird». Beeindruckt zeigt sich Lüthin von Martin Graf. «Es ist recht schwierig, in der Schweiz einen Wert von weniger als zwei Planeten zu erzielen.» Der TA hat versucht, gar einen Wert von 1 zu erreichen – und ist gescheitert (siehe Text unten). SES-Fachmann Piller rechnet damit, dass sich der ökologische Fussabdruck der Schweizer Bevölkerung in den kommenden Jahren nicht reduzieren wird. Doch just dies müsste geschehen, damit Wirklichkeit wird, was sich zum Beispiel die Stadt Zürich per Volksbeschluss zum Ziel gesetzt hat: die 2000-Watt-Gesellschaft. Problematisch ist, dass der Mehrkonsum die technischen Effizienzgewinne heute grösstenteils wegfrisst. Für einen kleinen Fussabdruck braucht es laut Piller neben den erneuerbaren Energien und Energieeffizienz auch Suffizienz, Beschränkung also. Oder gar Verzicht. Doch dazu ist niemand bereit, speziell im Bereich der Mobilität nicht. Aufs Autofahren oder Fliegen zu verzichten, kommt für Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein (CVP) nicht infrage. Er will bei sich daheim bloss umweltfreundlicher heizen. Zur Diskussion stehe der Einbau einer Wärmepumpe. Auch Ernst Stocker will sich bei der Mobilität nicht einschränken. Er wohne «sehr dezentral» und sei deshalb aufs Auto angewiesen, sagt der Wädenswiler. Heiniger auf dem Kilimandscharo Ursula Gut hält ebenfalls nichts vom Verzicht auf Auto- oder Flugreisen. «Am leichtesten würde es mir wohl fallen, den Fleischkonsum etwas einzuschränken», sagt sie. Allerdings benötige die Zubereitung abwechslungsreicher Gemüsegerichte etwas mehr Zeit als Fleischgerichte. «Diese Zeit fehlt mir unter der Woche meist», so Gut. Thomas Heiniger (FDP) will sich zwar weiterhin bemühen, «vernünftig mit den Ressourcen umzugehen». Er freue sich aber auch «morgen und übermorgen» auf Ferien und Kontakte zu Freunden, was oftmals mit Reisen verbunden sei, sagt der Gesundheitsdirektor, der letztes Jahr den Kilimandscharo bestieg, seine Tochter in Hongkong besuchte und am New-York-Marathon teilnahm. Der Adliswiler Nationalrat Mario Fehr (SP) – er besitzt kein Auto – würde bei einer Wahl in den Regierungsrat automatisch ökologischer, da seine Flugreisen als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission sowie die Bahnreisen nach Bern wegfielen. Parteikollegin Regine Aeppli sieht bei sich überall Verbesserungs- beziehungsweise Reduktionsmöglichkeiten. «Deshalb möchte ich auch nicht vollständig auf Flug- und Autoreisen verzichten.» Auch Martin Graf ist kein Verzichtsapostel. So fliegt er – klimakompensiert – alle vier Jahre nach Ostafrika. Potenzial sieht er beim Bezug von Solarstrom für sein Minergiehaus: Dieser liesse sich von heute 40 auf 100 Prozent steigern. Festhalten will er an seinem Konsum von Rindfleisch und seinem üppigen Platzanspruch: Graf wohnt mit seiner Partnerin auf rund 180 Quadratmetern. Finden Sie Ihren Kandidatenwww.smartvote.tagesanzeiger.ch
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