Working Poor müssen sich gedulden
Initiative chancenlos, der Gegenvorschlag dafür breit abgestützt. Finanzdirektor Anton Lauber kann sich auf später vertrösten.

Für Claude Hodel ist der Kampf noch nicht zu Ende. Die Initiative «Ergänzungsleistungen für Familien mit geringen Einkommen», die der Sozialdiakon aus Reinach mitgetragen hat, ist am Sonntag an der Urne mit nur 38,71 Prozent Ja-Stimmen zwar abgeblitzt. Aber der Gegenvorschlag des Landrats ist in 69 der 86 Baselbieter Gemeinden angenommen worden (Zustimmung von 53,28 Prozent) und damit breit abgestützt. «Wir machen nun weiter Druck, damit den Betroffenen endlich geholfen wird», sagt Hodel. «Es kann nicht sein, dass Working Poor immer unter die Räder kommen.»
Mit der Initiative wäre klar gewesen, wie das Problem der Arbeitsarmut im Kanton Baselland angegangen werden soll. Nun ist das weitere Vorgehen wieder völlig offen. Denn der Gegenvorschlag besagt lediglich, dass der Regierungsrat eine Lösung erarbeiten soll, um Familien in prekären finanziellen Verhältnissen zu unterstützen. Mit welchen Massnahmen genau, ist nicht definiert. Vorerst sollen die Strategie gegen Armut und die Strategie für die Sozialhilfe abgewartet werden.
Es wird ein funktionierendes Gesamtsystem im Sozialbereich angestrebt. Working Poor, also jene, die trotz Einkommen unter der Armutsgrenze leben, befinden sich an der Schwelle zur Sozialhilfe. Laut Initiativkomitee fallen 3,5 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in diese Kategorie. Hier ist die Gefahr besonders gross, in die Sozialhilfe abzugleiten, weil sich die Arbeit kaum oder gar nicht lohnt. Die Regierung steht also vor der Herausforderung, das System so zu überarbeiten, dass der Weg raus aus der Sozialhilfe unterstützt und ein Abrutschen in dieselbe verhindert wird.
Hodel gegen «Wildwuchs»
Claude Hodel hofft noch immer und will sich dafür einsetzen, dass die ausstehende Lösung in Form von Ergänzungsleistungen daherkommt. Dies, weil solche Leistungen kantonal geregelt sind und unterschiedliche Handhabungen der Gemeinden – ein «Wildwuchs» – unterbunden werden. Auch wenn die Initiative abgelehnt wurde, ist nicht ausgeschlossen, dass die Regierung auf eine solche Lösung zurückkommt.
Finanzdirektor Anton Lauber vertröstet auf später. Man wolle zuerst die Studien abwarten, die die bestehenden Instrumente des Sozialsystems auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Gemeint sind etwa Familienzulagen, Steuerabzüge, Prämienverbilligungen, Mietzinsbeiträge und Stipendien. Mitte kommenden Jahres sollen die Resultate vorliegen, danach werde sich die Regierung an die Arbeit machen. Es dauert also mindestens bis ins Jahr 2021, bis der Landrat über handfeste Vorlagen entscheiden kann.
Lauber für Vorsicht
Momentan ist noch vieles unklar. Doch Anton Lauber schickt voraus: «Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir vorsichtig vorgehen.» Kritisch fragt er: «Braucht es überhaupt ein neues Instrument wie Ergänzungsleistungen?» Das Abstimmungsergebnis analysiert er nämlich so, dass die Bereitschaft für einen neuen Ausgabenposten «wohl nicht so gross ist».
Diese Aussage würde Claude Hodel kaum unterschreiben. Er glaubt jedoch auch, dass sich die Stimmbevölkerung womöglich zu sehr vor einem Systemwechsel gefürchtet hat. Hodel und das Initiativkomitee sowie die Unterstützerin SP hatten im Vorfeld den Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen. Nun ist Hodel aber froh, dass es dieser dennoch zu einer Mehrheit geschafft hat. Und die Sozialdemokraten teilen mit: «Die SP wird nun darauf hinarbeiten, dass aus dem angenommenen, unformulierten Gegenvorschlag mehr wird als ein Papiertiger.»
Ebenfalls hinter dem Anliegen standen die Grünen, die aber Initiative sowie Gegenvorschlag zur Annahme empfohlen hatten (Stichfrage Initiative). Die Caritas beider Basel, neben ATD Vierte Welt eine der unterstützenden Sozialorganisationen, bewertet das Abstimmungsergebnis als «Achtungserfolg». Sie teilt mit: «Die Caritas beider Basel wird sich weiterhin für eine Politik einsetzen, welche Armut verhindert und Betroffenen einen Weg aus der Armut ermöglicht. In diesem Sinne werden wir unseren Beitrag auch in der Erarbeitung einer Strategie gegen Armut im Kanton Baselland leisten.»
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