Wie die Seele aufs Herz schlägt
An gebrochenem Herzen kann man tatsächlich sterben. Wie Depressionen und Herzkrankheiten zusammenhängen, erklärt Brigitta Bondy, Professorin an der Psychiatrischen Klinik der Universität München.
Frau Bondy, Sie sagen, wenn in den ersten vier Monaten nach einem Herzinfarkt eine Depression auftritt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres an den Folgen des Infarktes zu sterben oder sogar einen weiteren zu erleiden. Bei einer zusätzlich zum Herzinfarkt auftretenden Depression verschlechtern sich nochmals alle Parameter, die bereits an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung beteiligt sind, da es bei einer Depression zu einer dauerhaften Aktivierung der Stressachse kommt. Diese umfasst ein fein abgestimm-tes Netzwerk unterschiedlicher Hormone und Botenstoffe, an dem sowohl der Hypothalamus, als wichtige Region des Gehirns, als auch die Nebenniere in der Peripherie des Körpers beteiligt sind.
Der Stress, der mit einer Depression einhergeht, ist also das Problem? In einer Gefahrensituation reagiert der Organismus mit einer Reaktionskette, die es uns erlaubt, schnell und angemessen zu handeln. Ist die Gefahr vorbei, kommt bei Gesunden der Körper wieder rasch zur Ruhe. Eine länger andauernde Aktivierung der Stressachse, wie es bei einer Depression der Fall ist, führt zu schweren gesundheitlichen Schäden, da der Alarmzustand des Körpers bestehen bleibt und somit viele Organe, vor allem das Herz und die Gefässe, ständig überaktiviert werden. Leiden aus diesen Gründen Herzpatienten dreimal häufiger unter Depressionen als der Durchschnitt der Bevölkerung? Ja. Bislang ging man davon aus, dass die Depression als Folge eines Herzinfarktes rein psychologisch, also als Reaktion auf die schwere organische Krankheit zu verstehen ist. Doch nun haben viele Untersuchungen gezeigt, dass es eine gemeinsame biologische Komponente gibt, die teilweise in der gestörten Stressachse begründet ist.
Wie werden Patienten behandelt, denen diese beiden Krankheiten gleichzeitig zu schaffen machen? Bei ihnen kommen nicht alle Medikamente in Frage, die man normalerweise bei Depressionen in Betracht ziehen würde. Zum Beispiel Arzneimittel, die überwiegend den Noradrenalinspiegel ansteigen lassen. Diese Neurotransmitter können zu einer Erhöhung von Blutdruck und Herzschlag führen. Auch bei älteren Antidepressiva ist Vorsicht geboten, da diese zu zahlreichen Veränderungen im Gleichgewicht der Botenstoffe führen. Wir verschreiben diesen Patienten in der Regel sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die auf die Erhöhung des Serotoninspiegels im Gehirn abzielen. Damit lassen sich fast alle Formen von Depressionen behandeln.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass pro Jahr 16 Millionen Menschen weltweit an kardiovaskulären Erkrankungen sterben. Hätte man manche retten können, wenn man ihre Depressionen rechtzeitig erkannt und sie behandelt hätte? Man kann davon ausgehen, dass diese Zahl deutlich zurückgeht, sobald man häufiger auch die gleichzeitig auftretenden Depressionen therapiert. Allerdings lässt sich das erst mit Sicherheit sagen, wenn dazu grosse epidemiologische Studien durchgeführt worden sind.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass bereits vor dem Zweiten Weltkrieg geahnt wurde, dass depressive Menschen häufiger an einem Herztod sterben als andere. Warum hat die Forschung diesen Zusammenhang so lange ignoriert und geht erst seit Mitte der 90er-Jahre dem Thema wieder nach? Zum einen hat sich erst in den letzten 30 Jahren die Methodik der Studien so weit verbessert, dass man wirklich Schlüsse ziehen kann. Zum anderen war die Zusammenarbeit zwischen beiden Disziplinen nicht sehr gut. Bis heute gibt es nur wenige gemeinsame Studien von Psychiatern und Kardiologen. Mittlerweile wird das Thema jedoch sehr ernst genommen, und jeder weiss, dass man die Psychiatrie nicht mehr von der somatischen Medizin trennen kann.
Sie nennen mehrere Mechanismen, die als Bindeglied zwischen beiden Krankheiten angesehen werden, zum Beispiel Stress. Dass er den Körper schädigt, ist bekannt, aber warum auch die Seele? Durch die andauernde Überproduktion der Stresshormone kommt es zu einer Veränderung der Botenstoffe im Gehirn. Das betrifft vor allem Serotonin. Und eine Verminderung dieses Neurotransmitters gilt als eine der Hauptursachen für die Entstehung von Depressionen, denn dadurch geht die Feinabstimmung der Botenstoffe verloren, und die Steuerungen der Emotionen versagen.
Interessant ist auch, dass Sie einen Zusammenhang zwischen Fettsucht und Depressionen sehen. Aber wenn man die zum Teil sehr dicken Leute in den USA beobachtet, fällt auf, dass viele keinen niedergeschlagenen Eindruck machen. Im Gegenteil. Nicht jeder, der einen Body-Mass-Index von über 30 hat, muss depressiv werden. Fast alle Krankheitsbilder in der Psychiatrie sind multifaktoriell bedingt. Das heisst, dass auch die Depression durch mehrere Ursachen wie genetische Veranlagung, Umweltfaktoren und Persönlichkeitsbild ausgelöst wird. Wer wenig Selbstbewusstsein hat, wird sich durch Übergewicht eher gestresst fühlen. Und wer gestresst ist, gerät leichter in diesen negativen Kreislauf, der das Herz und die Balance der Botenstoffe im Gehirn stört. Darüber hinaus ist das Körperfett nicht nur tote Masse, sondern ein sehr aktives Organ, das intensiv in den Stoffwechsel der Botenstoffe eingreift.
Kann, wer Stress und Übergewicht vermeidet, einer Depression vorbeugen? Stress können Sie nie komplett umgehen, aber man sollte sich zumindest Ruhephasen erlauben. Meist ist ja auch noch unsere ganze Freizeit komplett durchgetaktet. Aber selbst wenn wir uns erholen und normalgewichtig bleiben, sind wir dagegen nicht gefeit. Leider muss jeder damit rechnen, Opfer einer Depression zu werden. Angesichts dieser Tatsache finde ich es wichtig, dass ein Umdenken in der Bevölkerung einsetzt.
In welcher Hinsicht? Wer Magenprobleme hat, geniert sich nicht, eine Tablette einzunehmen. Auch eine Depression ist eine Krankheit, die behandelt werden muss. Doch sie gilt noch als Makel, über den man nicht spricht. Das muss sich ändern.
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