«Der Kannibalismus setzt sich in unseren Köpfen fest»
Seit den Fällen in Hessen und jüngst in der Slowakei ist bekannt: Der Kannibale kommt nicht nur in Reiseberichten aus exotischen Ländern vor. Kulturwissenschaftler Jörg Dünne äussert sich im Interview zum Phänomen Menschenfresser.
Wieso kommt es auch heute noch regelmässig zu Fällen von Kannibalismus?Weil der Kannibalismus offensichtlich nicht aufhört, unsere Vorstellungskraft zu beschäftigen – vielleicht sogar so sehr, dass manche Menschen diese Vorstellung tatsächlich in die Tat umsetzen wollen.
Lässt sich der typische Kannibale der Neuzeit umschreiben?Sie sind heutzutage in der Regel nicht mehr in geografischer Ferne wie in den frühneuzeitlichen Reiseberichten verortet, sondern eher am marginalisierten Rand der Gesellschaft. Im 20. Jahrhundert gab es beispielsweise mehrere spektakuläre Prozesse, in denen Kannibalismus in dieser Form zum Thema wurde: Sie reichen vom Serienmörder Fritz Haarmann in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts bis zum sogenannten «Kannibalen von Rotenburg», der 2004 verurteilt wurde. Nicht in allen dieser Fälle ist klar, ob es überhaupt zu kannibalischen Akten gekommen ist, aber sie haben allesamt ein breites Medienecho ausgelöst, und zwar nicht nur in der Presse und in den Printmedien: Kannibalismus ist im 20. Jahrhundert auch ein enorm beliebtes Thema von Filmen geworden.