Finanzwetten oder Gemeinwohl?
Zwar wollten die Politiker das Finanzcasino nach der Krise wieder stabilisieren und die Verantwortlichen zur Kasse bitten. Umgesetzt wurden diese Bestrebungen bislang jedoch nicht.

Morgen geht ein Jahrzehnt zu Ende, das viele alte Gewissheiten zertrümmert hat. Begonnen hat es mit der hektischen Bewältigung der Finanzkrise von 2008. Die Menschen mussten zusehen, wie weltweit mit ihren Steuergeldern Banken gerettet wurden, weil sie als «too big to fail» galten. Allein in Europa wurden etwa 2 Billionen Euro (das sind 2000 Milliarden!) Steuergelder dafür eingesetzt. Die Folge waren massive Staatsverschuldungen.
Kaum einer der dafür verantwortlichen Banker wurde angeklagt. Schon vorher war das Credo der Leistungsgesellschaft durch Boni-Exzesse von Managern desavouiert worden. Nun trat auch noch das kapitalistische Prinzip von Risiko und Haftung ausser Kraft. Zu alldem hatten die Bürgerinnen der westlichen Demokratien nichts zu sagen. Wenn Politik derart brutal versagt, dann darf man sich nicht wundern, wenn viele Menschen sich von ihr ab- oder rechtsnationalistischen Parteien zuwenden.
Die Merkel-Schäuble-Spar-Doktrin der EU-Rettungsschirme zwang Länder Südeuropas zu brutaler Sparpolitik. Deren Wirtschaft brach total ein. Die Arbeitslosigkeit explodierte, und der Mittelstand verarmte. Besonders hart traf es dort die Jugend. Dies hat der EU weit mehr geschadet, als es der Brexit tun wird.
Keines der Probleme der Finanzwelt ist gelöst
Eine kurze Zeit lang diskutierten die geschockten Politiker in den internationalen Gremien tatsächlich darüber, wie man das Finanzcasino stabilisieren und die Verursacher zur Kasse bitten könnte, unter anderem mittels Trennbankensystem, Transaktionssteuern und Bankenunion. Auch die Besteuerung des computergestützten Sekundenhandels wurde erwogen.
Doch nichts davon ist umgesetzt worden. Denn im Juli 2012 trat der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) ans Mikrofon und erklärte der Welt, dass die EZB den Euro stützen werde, «whatever it takes». Seither flutet die EZB die Märkte mit billigem Geld, in der Hoffnung, dass wieder in die Realwirtschaft investiert würde. Die Eurokrise verschwand aus den Schlagzeilen und aus den Köpfen der zuständigen Politiker. Bis zur nächsten Krise.
Keines der Probleme der Finanzwelt ist gelöst. Ja, es gibt ein paar Regulierungen mehr. Doch das Eigenkapital der Grossbanken ist immer noch dünn. Und oben wird längst wieder kräftig abgesahnt (und überwacht), egal wie tief deren Aktienkurse sind. Auch die Tiefzinspolitik verursacht grobe Kollateralschäden. Seit fünf Jahren leiden Sparerinnen und Pensionskassenmitglieder unter den Negativzinsen unserer Nationalbank (SNB). Ihr Direktor verteidigt diese mit dem hilflosen Hinweis auf den «globalen Trend». Zu stark sei der Druck auf den Franken und damit auf die Exportwirtschaft.
Das ist nachvollziehbar, nicht jedoch, dass die Vorsorgegelder ebenfalls diesem Regime unterworfen wurden. Damals versuchten Ständeräte, auch aus bürgerlichen Parteien, die Altersvorsorge von den Negativzinsen auszunehmen. Vergeblich. Die Mehrheit hatte nicht das Rückgrat, zuzustimmen. Dies gefährde die Unabhängigkeit der SNB. Sie darf demnach ganz unabhängig dazu beitragen, dass unsere Altersvorsorge reduziert wird.
Es ist höchste Zeit, dass das Gemeinwohl wieder Ziel und Zweck von Politik wird
Das viele billige Geld landet heute vorwiegend in Immobilien, kaum mehr in der Realwirtschaft. Dafür wird wieder fröhlich – als ob nichts geschehen wäre – im globalen Finanzcasino spekuliert. Für solide Investitionen gegen den Klimawandel fehlt angeblich das Geld.
Trump hat nach seiner Wahl die Banken- und Hedge-Funds-Vorschriften wieder dereguliert. Der Nennwert aller Finanzderivate übersteigt heute das Zehnfache des weltweiten Bruttoinlandprodukts. Die Hebelwirkung dieser Spekulationen ist extrem krisenanfällig. Darum nannte Warren Buffett diese Finanzwetten «finanzielle Massenvernichtungswaffen».
Der grassierende «Nationalismus first» und das globale Finanzcasino sind eine unheilvolle Kooperation eingegangen. «Teile und herrsche», riet schon Machiavelli seinem Fürsten. Übrigens, soeben hat der Bundesrat mittels Verordnung die Unabhängigkeit der Finanzmarktaufsicht eingeschränkt. Sie hatte es gewagt, ihre Kontrollaufsicht ernst zu nehmen.
Es ist höchste Zeit, dass das Gemeinwohl wieder Ziel und Zweck von Politik wird. Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr(zehnt).
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