Wochenduell zu Novak DjokovicWird Novak Djokovic unfair behandelt?
Trotz einer Oberschenkelverletzung spielt sich Novak Djokovic bislang locker durch das Australian Open. Schnell werden Vorwürfe laut, dass der Serbe seine Blessur nur vorspiele. Zu Unrecht?

Ja, warum sollte er davor gefeit sein, dass es auch ihn hie und da mal in den Muskeln zwickt?
Novak Djokovic ist zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung auf der ATP-Tour. Läuft alles nach Plan, kann er in Australien seinen 22. Grand-Slam-Titel gewinnen und in dieser Statistik mit Rafael Nadal gleichziehen. Das wäre ein nächster Meilenstein in der Laufbahn des Serben.
Aber Djokovic ist auch einer, der nicht nur auf, sondern auch neben dem Tennis-Court polarisiert. So wie in diesen Tagen in Melbourne, wo er von Spiel zu Spiel Grösseres leistet – und die Debatten um seine Oberschenkelverletzung kleiner werden. Dennoch: Sie sind Thema. Seit Wochen schlägt er sich mit Problemen am hinteren linken Oberschenkelmuskel umher. Er sagt, dass er nur dank stundenlangen Behandlungen so spielen könne, wie er gegenwärtig auftrete.
Doch: Die Tenniswelt nimmt ihn nicht ernst. Es heisst, es sei gar nicht möglich, Tag für Tag dieses Niveau abzurufen, wenn man in der Beinmuskulatur derart eingeschränkt sei. Diese Skepsis rührt auch daher, dass sich der 35-Jährige rund um das Thema Covid-Impfung – Djokovic ist ein überzeugter Impfgegner – in den letzten drei Jahren nicht besonders viele Freunde gemacht hat. Selbst in dieser delikaten Angelegenheit wurde ihm Schauspielerei und Selbstinszenierung vorgeworfen. Egal, was die Weltnummer 5 macht: Bei Djokovic wird stets ganz genau hingeschaut.
Doch in der aktuellen Diskussion geht es nicht um das Image. Es geht um ein medizinisches Problem, das ihn seit längerem plagt. So, wie das eben auftreten kann, bei einem in die Jahre gekommenen Spitzensportler Mitte dreissig. Weshalb sollte er davor gefeit sein, dass es auch ihn mal hier und da zwickt, dass er ein langes Spiel physisch nicht mehr so rasch verarbeitet wie früher? Und warum darf er dies nicht auch sagen dürfen?
Spurlos geht diese Kritik an ihm nicht vorbei. Djokovic kontert, beschwert sich öffentlich über das Verhalten anderer und kündigt an, MRI-Bilder wie sämtliche medizinischen Dokumente der letzten zwei Jahre offenzulegen. Aber, und das muss festgehalten werden: Diese Opferrolle macht ihn zurzeit nur stärker. Was aber auch heisst, dass er weiter polarisieren und der nächste unfaire Seitenhieb gegen seine Person mit Sicherheit folgen wird. Dominic Willimann
Nein, solange Djokovic seine Gegner so deklassiert wie im Moment, ist die Debatte um eine Opferrolle ohnehin müssig – und der mediale Gegenwind sollte ihm selbst egal sein.
Novak Djokovic hatte genug. Erst kürzlich liess er seinem Frust gegenüber serbischen Medien freien Lauf: «Wenn andere Spieler verletzt sind, sind sie die Opfer. Wenn ich es bin, täusche ich es vor. Das ist schon sehr interessant ...»
Interessant sind die Vorwürfe, die sich momentan um den Serben drehen, auf jeden Fall – überraschend aber wohl kaum. Djokovics Akte mit Anschuldigungen gegen sein Verhalten auf dem Platz ist prall gefüllt: So wurde er in der Vergangenheit bereits mehrfach für angebliches Zeitspiel von Schiedsrichtern verwarnt.
Die Unterstellungen existieren also nicht erst seit gestern. Und sie wurden sicherlich auch durch Vorkommnisse in den letzten Jahren gefüttert, die dazu führten, dass Novak Djokovic trotz seiner aussergewöhnlichen Erfolge nie dieselbe Beliebtheit auf der Tour genoss wie ein Roger Federer. Seine Nähe zu Pseudowissenschaftlern, Verschwörungstheoretikern und serbischen Nationalisten ist kein Geheimnis.
Dazu kommen Unsportlichkeiten auf dem Court, wie eben eine vermeintlich vorgetäuschte Verletzung – ein gefundenes Fressen für Journalisten, die den Ruf des 21-fachen Grand-Slam-Siegers ausgerechnet dann wieder zerstören wollen, wenn er drauf und dran ist, mit einem furiosen Comeback in Melbourne die Herzen der Anhänger wieder zurückzugewinnen. Zumindest sieht das Djokovic so.
Dabei müsste er als alter Hase im Geschäft doch mit jenem medialen Wind umgehen können, der ihm derzeit entgegenweht. Oder mehr noch: Er müsste ihm egal sein. Besonders dann, wenn er – wie im Moment – trotz Verletzung scheinbar mühelos zu seinem zehnten Titel am Australian Open spaziert. Auch wenn er jüngst äusserte, dass es ihn nicht mehr interessiere, «was andere Leute denken und sagen», spricht sein Vergleich des Medienechos auf andere Spieler eine andere Sprache. Djokovic begibt sich in eine Opferrolle, wie schon letztes Jahr, als er gar nicht erst nach Australien einreisen durfte. Dieses Jahr hat er diese jedoch gar nicht mehr nötig.
Dass seine Verletzung nicht echt oder ein Vorwand für mögliches Zeitspiel sein soll, sollte ihn nicht interessieren. Spätestens dann, wenn er am Sonntag erneut den Norman Brookes Challenge Cup in seinen Händen halten sollte, sind Debatten um eine Opferrolle ohnehin müssig. Benjamin Schmidt
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