Wochenduell: Überflieger OdermattWird Marco Odermatt in diesen Wochen sogar zum König der Abfahrer?
Im Gesamtweltcup auf Rekordkurs, ist der Nidwaldner im Riesenslalom und im Super-G das Nonplusultra. In der Abfahrt ist er ganz vorne dabei, aber es fehlt noch immer die Sieg-Premiere.

Ja, Odermatt ist dann am besten, wenn es am meisten zählt – also in Wengen, Kitzbühel und an der WM.
Geht es nach der Mathematik, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Marco Odermatt in seiner Karriere keine einzige Abfahrt gewinnt, um einiges grösser, als dass er im verbleibenden Winter auch noch in der Königsdisziplin des Skirennsports den Thron erklimmt. Schliesslich fehlt ihm trotz 17 Weltcupsiegen und einer olympischen Goldmedaille im Riesenslalom bislang ein Triumph in jener Disziplin, die am spektakulärsten ist.
Erschwert wird dies durch die Konkurrenz: Mit dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde und dem Österreicher Vincent Kriechmayr gibt es aktuell zwei Athleten, welche die Abfahrtssiege unter sich aufteilen. Das ist keine Momentaufnahme: Der Norweger gewann schon in der Vorsaison den Weltcup in dieser Disziplin, der Österreicher ist Abfahrtsweltmeister. Es sind Fakten, die dagegen sprechen, dass Marco Odermatt gerade jetzt den Bann bricht.
Diesen gegenüber steht allerdings ein kleines Ski-Phänomen: Im Gesamt-Weltcup, den Odermatt in der Vorsaison erstmals für sich entschied, liegt er derzeit auf Kurs Richtung Allzeit-Punkterekord. In den Rennen, die er fährt, strotzt er vor Selbstvertrauen – so wie jüngst am Chuenisbärgli, als er mit Bestzeiten in beiden Läufen und hart am Limit überlegen zum nächsten Riesenslalom-Sieg fuhr. Und in der Abfahrt, wo er noch nie gewann? Ist er nicht nur Junioren-Weltmeister, sondern auch aktuell Zweiter in der Disziplinen-Wertung der Besten – hinter Kilde, aber vor Kriechmayr. Er fuhr dabei nicht nur auf technisch eher anspruchsvollen Strecken wie Beaver Creek und Bormio als Zweiter aufs Podest, sondern wurde auch auf der Autobahn von Lake Louise Dritter. Kurz: Er ist bereits einer der besten Abfahrer der Welt.
Was ihn neben dem Warten auf einen Sieg in dieser Disziplin von Kilde und Kriechmayr unterscheidet, ist das Alter: Während er mit 25 am Anfang seiner besten Jahre steht, befinden sich der 30-jährige Norweger und der 31-jährige Österreicher im Zenit. Das macht sie zwar schwer schlagbar. Aber es bedeutet auch: Luft nach oben ist wenig. Bei Odermatt, dem Schnellentwickler, ist das anders.
Natürlich ist es gewagt, vor den Abfahrtsklassikern in Wengen und Kitzbühel sowie der WM darauf zu wetten, dass Odermatt erstmals siegt, sich gar nachhaltig vor die Routiniers schiebt. Doch alles, was der junge Mann erreichte, lässt vermuten, dass er dann am besten ist, wenn es am meisten zählt. 2022 war er schon am Lauberhorn Zweiter, die WM-Abfahrt 2021 beendete er als Vierter. Also ist nun die Zeit gekommen, um bei einer der drei nun folgenden grossen Gelegenheiten zuoberst zu stehen. Und wenn das erst gelungen ist, dann beliebt Odermatt zum Wiederholungstäter zu werden …
Nein, grosse Rennen hin oder her – als bester Abfahrer gilt immer derjenige, der den Disziplinensieg errang. So weit ist Odermatt (noch) nicht.
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Neben seiner Dominanz im Riesenslalom und im Super-G ist Marco Odermatt auf dem besten Weg dazu, auch im Abfahrtsweltcup an der Spitze zu stehen. Nach Rang 16 im Abfahrtsklassement 2020/21 und Platz 6 2021/22 rangiert der Nidwaldner in der aktuellen Saison bereits an zweiter Stelle. Er kommt also auch der Abfahrtskrone Schritt für Schritt näher – und doch gibt es einen Grund, wieso er sie dieses Jahr (noch) nicht holt. Und dieser heisst Aleksander Aamodt Kilde.
Im Super-G mag Odermatt dem Norweger inzwischen den Rang abgelaufen haben, in der Abfahrt hat Kilde in dieser Saison jedoch noch die Nase vorn – und wird sich den Titel wahrscheinlich auch nicht mehr nehmen lassen. Zu konstant agierte Kilde zuletzt, entschied drei von fünf Abfahrtsrennen für sich. Odermatt hingegen wartet in seiner gesamten Karriere noch auf einen Triumph in der Abfahrt.
Nun stehen Wengen und Kitzbühel vor der Tür. Nach der Lauberhornabfahrt sowie den beiden Abfahrten auf der Streif am Hahnenkamm verbleibt nur noch eine in Garmisch-Partenkirchen. Gut möglich also, dass der Wettstreit um die Kristallkugel in der Königsdisziplin dann bereits entschieden sein wird. Und auch hier sprechen die Vorzeichen eher zugunsten von Kilde, der letztes Jahr in beiden Klassikern zuoberst auf dem Treppchen stehen und sich Ende Saison den Abfahrtsweltcup sichern konnte.
Und wenn Kilde mal patzen sollte, ist da auch immer noch Vincent Kriechmayr. Der Österreicher gewann die Abfahrtsrennen von Gröden (als Ersatz für das ausgefallene Rennen von Beaver Creek) und Bormio. Dass Kriechmayr im Klassement hinter Odermatt platziert ist, ist allein dem Umstand geschuldet, dass ihm der Saisonauftakt in Lake Louise mit einem elften Rang für seine Ansprüche missglückt ist. Mittlerweile befindet sich der 31-Jährige jedoch wieder in Topform und zählt auch für die Klassiker zum Favoritenkreis. Am Lauberhorn darf auch er sich bereits Abfahrtssieger nennen.
Hinzu kommt: Selbst wenn es Odermatt nun gelingen sollte, einen Klassiker oder gar die WM zu gewinnen: Als bester Abfahrer galt noch nie derjenige, der einzelne grosse Rennen für sich entschied – sondern immer derjenige, der den Disziplinensieg errang. So weit ist Odermatt (noch) nicht. Auch weil ihn die Mehrfachbelastung als Siegfahrer in Super-G und Riesenslalom auf eine ganze Saison viel Kraft kostet. Noch mehr aber, weil ihm seine ärgsten Konkurrenten in der Abfahrt einfach noch ein Schrittchen voraus sind.
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