«Wir wollen wenigstens die Körper zurück»
Die argentinische Marine hat die Suche nach Überlebenden des U-Boot-Unglücks eingestellt. Doch einige Angehörige hoffen noch immer auf ein Wunder.
Die Suche nach Überlebenden hat 15 Tage gedauert. 4000 Personen, 28 Schiffe und 9 Flugzeuge aus 18 Ländern haben ein Gebiet durchkämmt, das 23-mal so gross ist wie die Schweiz. Die mit Radar abgesuchte Fläche beträgt sogar das Doppelte. Das Resultat bis anhin: nichts. Das argentinische U-Boot ARA San Juan und seine 44 Besatzungsmitglieder bleiben verschwunden.
Gestern hat die argentinische Marine verkündet, die Suche nach Überlebenden werde eingestellt. Jene nach den Überresten des verschollenen U-Boots hingegen geht weiter. Solange die ARA San Juan nicht aufgespürt wird, erklärt Argentiniens Regierung die Besatzungsmitglieder noch nicht offiziell für tot, und sie verhängt auch keine Staatstrauer. Stattdessen spricht sie von «Helden, die bei der Ausübung ihrer Pflicht gestorben sind, Argentiniens Meer und Fischreichtum zu beschützen».
In der Marinebasis der Stadt Mar del Plata, wo Marinesprecher Enrique Balbi am Donnerstag um 18.30 Uhr vor die Angehörigen trat, spielten sich erneut schreckliche Szenen ab – wie schon vor einigen Tagen, als Balbi die Hoffnungen der Familienmitglieder mit der Information zerstörte, es habe an Bord der Ara San Juan eine Explosion gegeben.
Mehrere Angehörige brachen zusammen und mussten medizinisch betreut werden. «Wir wollen wenigstens die Körper zurück, damit wir trauern können», sagte die Mutter eines Besatzungsmitglieds. Andere Angehörige protestierten gegen die Entscheidung, weil sie noch immer glauben, es könnte Überlebende geben. Mütter und Gattinnen von Verschollenen beteuerten, sie spürten, dass ihre Liebsten noch am Leben seien. Es sei undenkbar, dass Gott so etwas zulasse.
Die Hoffnungen des Rugbyspielers
Auch Gustavo Zerbino schürte die Hoffnung, wohl im Glauben, damit Gutes zu tun. Aber er fantasierte von einem Wunder, wie es ihm selber zwar widerfahren war, das sich aber diesmal nicht wiederholen wird. Der uruguayische Arzt ist einer von 16 Rugbyspielern, die 1972 einen Flugzeugabsturz in den Anden überlebten. 72 Tage lang waren sie verschollen, und um nicht zu verhungern, assen sie das Fleisch ihrer toten Kollegen. 29 Personen verloren bei dem Unglück das Leben. «Der schlimmste Moment war, als wir über das Funkgerät des abgestürzten Flugzeugs die Nachricht mithörten, dass sie die Suche nach uns eingestellt hatten.» Rückblickend jedoch habe sie gerade dies gerettet, weil sie nicht länger beim Flugzeug ausgeharrt, sondern sich zu Fuss auf den Weg gemacht hätten.

Bei der Suche nach den Überresten der ARA San Juan kommen ab heute ein unbemanntes russisches und ein amerikanisches Mini-U-Boot zum Einsatz, die bis in eine Tiefe von 6000 Metern tauchen können. Der maximale Wasserdruck, den die Struktur der Ara San Juan aushält, entspricht einer Tiefe von 600 Metern. Laut dem Marinesprecher Balbi soll die Suche so lange dauern, bis das U-Boot entdeckt wird.
Tod binnen zweier Minuten
Der Schiffsbauingenieur Horacio Tobías, der die ARA San Juan mehrmals selber navigiert hat, mutmasst im Gespräch mit der argentinischen Zeitung «Clarín», was passiert sein könnte. Er stützt sich dabei auf den letzten Funkkontakt zwischen dem U-Boot und einer Marinebasis auf dem Festland. Drei Stunden bevor Messsonden im Meer eine Explosion registrierten, hatte der Kapitän gemeldet, über das Ventilationssystem sei Wasser in den Batterieraum eingedrungen und habe einen Kurzschluss verursacht. Dies führte laut Tobías zu einer Explosion im Innern des U-Bootes. Die Besatzungsmitglieder seien binnen zweier Minuten an giftigen Gasen gestorben. «Es war unmöglich, die Havarie unter Kontrolle zu bringen.»
Um wenigstens den politischen Schaden unter Kontrolle zu halten, muss Präsident Macri alles daransetzen, die von Angehörigen und Experten erhobenen Vorwürfe rasch und lückenlos aufzuklären. Es gibt Indizien, wonach Wartungsarbeiten an der ARA San Juan, die mit ihrem Baujahr 1985 ohnehin alt war, schlampig ausgeführt wurden – und dass dafür vorgesehene Gelder, etwa für den Ersatz der Batterien, in dunklen Kanälen versickert sind. Sollten die Beschuldigungen zutreffen, hätten sich die Mauscheleien vor Macris Amtsantritt im Dezember 2015 ereignet. Das dürfte es ihm erleichtern, sich und seine Regierung aus der Schusslinie zu manövrieren.
Blumen ins Meer werfen
Problematischer sind die Vorwürfe, wonach die Spitzenleute der Marine Angehörige und selbst den Verteidigungsminister unvollständig und verspätet über den Verlauf des Unglücks informiert haben. Sobald die Überreste des U-Boots gefunden sind, wird Macri laut argentinischen Medien mit einer Armeereform beginnen. Dabei sollen nicht nur der Marinechef Marcelo Srur, sondern auch die obersten Verantwortlichen für die Bodentruppen und die Luftwaffe abgesetzt werden.
Wichtig wird auch sein, dass sich Macri und seine Entourage gegenüber den Angehörigen sensibler verhalten, als es die Vertreter der Marine getan haben. Deren Sprecher Balbi benutzte oft technokratisch-papierene Formulierungen; er sprach etwa von «hydroakustischer Anomalie», um die mutmassliche Explosion an Bord zu umschreiben. Falls es den Suchtrupps gelingt, das U-Boot zu orten, wird Macri mit den Angehörigen zum Fundort fahren, um in einer Trauerzeremonie Blumen ins Meer zu werfen.
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