
Es fällt schwer, in unserem Land, dessen Markenzeichen blühende Landschaften und eine wunderbare Bergwelt sind, von mangelndem Umweltschutz zu sprechen. Doch der Anfang Woche veröffentlichte Bericht des Weltbiodiversitätsrats über das grosse globale Massensterben von Pflanzen- und Tierarten und den grossen Verlust an Lebensräumen war ein Weckruf.
Der Bundesrat lässt den Zustand der Natur seit Jahrzehnten beobachten. Dank hervorragender Forschungsarbeit wissen wir ziemlich genau, dass es hierzulande um die Umwelt im globalen Vergleich nicht besser bestellt ist. Im Gegenteil. In kleinräumigen Strukturen wird die Natur besonders belastet: Die Bevölkerung in der Schweiz wächst stark, die Siedlungen sind nicht fertig gebaut, die Landwirtschaft ist nach wie vor intensiv.
Video: Eine Million Arten vom Aussterben bedroht
Dennoch stehen aussterbende Arten und verarmte Lebensräume nicht zuoberst auf der Agenda von Politik und Gesellschaft. Das Problem wurde in den Hintergrund gedrängt – durch die seit Jahrzehnten hitzig geführte Klimadebatte. Der neue Bericht zeigt jedoch deutlich, wie eng klimatische Bedingungen und die Entwicklung der Natur zusammenhängen. Es ist im Grunde eine Partnerschaft. Die meisten Pflanzen und Tiere sind auf ein ausgeglichenes und stabiles Klima angewiesen. Dieser Zustand ist wiederum abhängig von intakten Wäldern, Wiesen und Mooren, die durch die Aufnahme von Kohlendioxid, also CO2, das Klima regulieren.
Die Umwelt ist nicht so einfach gestrickt, wie es die Politik manchmal haben möchte.
Je reicher die Lebensräume an Arten sind, desto besser können die Ökosysteme auf klimatische Schwankungen reagieren. Je monotoner die Natur, desto grösser ist das Risiko, dass sich Schädlinge ausbreiten, desto weniger Insekten hat es für die Bestäubung. Politische Entscheide für den Klimaschutz – vom Bund über die Kantone bis zu den Gemeinden – haben also auch Konsequenzen für die Biodiversität und umgekehrt. Das gilt auch für die Siedlungs- und Energiepolitik. Die Umwelt ist nicht so einfach gestrickt, wie es die Politik manchmal haben möchte.
Unverständlich ist, wie schleppend die Politik das Problem angeht. Es vergingen 13 Jahre seit dem ersten Vorstoss im Parlament, ehe der Bundesrat 2017 den Aktionsplan für Biodiversität verabschiedete. Die Regierung hat darin den Handlungsbedarf zwar erkannt, aber die Massnahmen sind bisher zu wenig verpflichtend und zu wenig ambitioniert. Die Entwicklung der Energieversorgung und das nachhaltige Verhalten der Privatwirtschaft bleiben zudem ausgeklammert.
Es überrascht deshalb nicht, dass besorgte Bürger mit Volksbegehren wie der Trinkwasserinitiative die Politik zum Handeln zwingen wollen.
Je länger wir mit Schutzmassnahmen zuwarten, desto teurer wird die Reparatur.
Was die 26 Massnahmen und 19 Pilotprojekte des Aktionsplans taugen, wird sich erst 2022 zeigen, wenn sie die Experten des Bundes auf ihre Wirkung überprüft haben. Doch schon heute ist klar: Es fehlt eine gesamtheitliche Strategie, die verbindliche Ziele definiert und ebenso verbindliche Korrekturen, sollte der Plan nicht oder zu wenig stark greifen.
Gewisse Problemfelder sind aber bereits bekannt. So weisen die Förderflächen für Biodiversität, welche die Bauern ausweisen müssen, insgesamt eine zu geringe ökologische Qualität auf. Die Direktzahlungen an die Landwirtschaft sind zu wenig gezielt auf die Biodiversität ausgerichtet. Der Pestizideinsatz ist nach wie vor zu hoch. Die Förderung von Biobetrieben geht nur langsam vorwärts. Der ökologische Fussabdruck der Schweiz ist gross, weil wir in grossem Stil nicht nachhaltig produzierte Nahrungs- und Futtermittel importieren.
Ist der Bund knausrig, sind es die Kantone auch – und mit ihnen die Gemeinden.
Je länger wir mit Schutzmassnahmen zuwarten, desto teurer wird die Reparatur. Schon heute würde allein die Aufwertung verarmter Biotope Hunderte Millionen Franken kosten – das ist ein Mehrfaches dessen, was der Bund derzeit für seinen gesamten Aktionsplan ausgibt.
Doch ist er knausrig, sind es die Kantone auch – und mit ihnen die Gemeinden. In vielen Kommunen gibt es denn auch keine Umweltfachleute, oder aber es sind nur wenige Stellenprozente dafür reserviert. Die Begründung: zu teuer, nicht dringlich.
Das ist kurzsichtig. 2018 hatten Gemüsebauern grosse Ernteausfälle, zusätzliche Bewässerungen verteuerten die Produktion, und es fehlte an Futtermitteln. Die Grundwasserreservoirs sind mancherorts bis heute noch nicht wieder aufgefüllt. Wie wertvoll solche Investitionen in den Schutz der Biodiversität und des Klimas langfristig sein werden, wird der nächste Hitzesommer zeigen.
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Wir nehmen das Artensterben nicht ernst genug
Politik und Gesellschaft tun zu wenig gegen den Artenschwund. Sie müssen das Problem endlich entschlossen angehen.