«Wir müssen nachdenken»
Nach dem Patt bei der italienischen Parlamentswahl hat sich Silvio Berlusconi offen für eine Zusammenarbeit mit dem gegnerischen Mitte-links-Lager gezeigt. Auf Monti will er allerdings nicht zugehen.
«Italien darf nicht unregiert bleiben, wir müssen nachdenken», sagte Silvio Berlusconi heute in einem Fernsehinterview. Eine Koalition mit dem Zentrumsbündnis des scheidenden Ministerpräsidenten Mario Monti schloss der Milliardär allerdings aus. Das schlechte Abschneiden von Monti zeige, dass ein Grossteil der Bevölkerung mit dem Sparkurs nicht einverstanden sei, argumentierte der rechtskonservative Politiker.
Über einen möglichen Deal mit dem Mitte-links-Bündnis von Pier Luigi Bersani müsse man aber nachdenken. Alle Seiten müssten nun Opfer bringen. Neuwahlen in dieser Situation betrachte er nicht für sinnvoll.
Unglück anrichten
Der Chef der italienischen Protestbewegung «Fünf Sterne», Beppe Grillo, will eine mögliche Grosse Koalition von Linken und Rechten im Parlament behindern. «Gegen uns geht es nicht mehr», kündigte er nach dem spektakulären Wahlerfolg seiner Bewegung im Internet an. Grillo wandte sich damit dagegen, als Notlösung aus dem Wahl-Patt eine Koalition der Bündnisse Pier Luigi Bersanis und Silvio Berlusconis ins Auge zu fassen. Diese würden vielleicht noch sieben, acht Monate fortfahren können, Unglück anzurichten, meinte er.
Berlusconi hatte sich zuvor offen für eine Zusammenarbeit mit dem gegnerischen Mitte-Links-Lager gezeigt. Grillos Anti-Establishment-Bewegung wurde bei den Wahlen auf Anhieb die stärkste Partei im Abgeordnetenhaus in Rom.
124'000 Stimmen vor Berlusconis
Die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewann Bersanis Mitte-links-Bündnis mit 29,54 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium in Rom nach Auszählung aller Stimmen mitteilte. Damit liegt er denkbar knapp mit nur 124'000 Stimmen vor Berlusconis Bündnis, das 29,18 Prozent erhielt.
Das Mitte-Links-Bündnis bekommt als stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus durch einen Bonus die Mehrheit von 340 der insgesamt 630 Sitze. Berlusconis Lager stellt 124 Abgeordnete.
Stärkste Einzelpartei im Abgeordnetenhaus ist nach einem spektakulären Mobilisierungserfolg mit 25,6 Prozent jedoch die Anti-Establishment-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Sie entsendet 108 Parlamentarier. Montis Bündnis der Mitte erreichte in dieser Kammer lediglich gut 10 Prozent und verfügt über 45 Mandate. Mit diesem Resultat stehen die Parteien vor schwierigen Verhandlungen über eine Regierungsbildung, an deren Ende auch Neuwahlen stehen könnten.
«In Italien muss alles geändert werden»
Grillo und seine Fünf Sterne feiern ihren Wahlerfolg. «In dreieinhalb Jahren sind wir zur absolut stärksten Partei im Land aufgerückt», erklärte der Kabarettist stolz. Grillo könnte jetzt zum Zünglein an der Waage in Italiens politischem System aufrücken.
Eine Beteiligung an der Regierung ist aber so gut wie ausgeschlossen: Das würde Grillos Grundsätzen widersprechen – und die anderen Parteien dürften sich darauf nicht einlassen. «Diese Wahl ändert die Geschichte des Landes. Ehrlichkeit wird in Italien wieder hoch im Trend sein», erklärte der Internetaktivist per Twitter.
«Erfolg der Jugend»
Auch der Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo feierte den überraschend grossen Erfolg der Protestbewegung, die er im Wahlkampf aktiv unterstützt hatte. In Mailand waren Fo und seine Frau Franca Rame an Grillos Seite aufgetreten.
«Das ist ein ausserordentlicher Erfolg der Jugend. Sauberkeit siegt endlich in Italien», sagte Fo. «In Italien muss alles geändert werden. Die Legislaturperiode könnte wegen der politischen Instabilität kurz werden. Inzwischen muss man aber neue Wege erfinden, um Italiens politische Institutionen zu erneuern», sagte Fo.
Der Starjournalist und Berlusconi-Feind Marco Travaglio kommentierte: «Der Parlamentseintritt von Grillos Aktivisten wird starke Auswirkungen haben, wenn sie kompakt bleiben und sich nicht verlieren. Grillos Bewegung ist nicht in der Lage, das Land zu regieren. Ihre Wähler hoffen jedoch, dass sie eine gute Opposition führen wird.»
Kritiker dialogbereit
Der Erfolg der Grillo-Truppe überrascht auch die schärfsten Kritiker des Erfolgbloggers, die jetzt Dialogbereitschaft signalisieren. «Grillo vertritt Ideen in Bezug auf den Kampf gegen die Privilegien der Politiker, die wir teilen. Es könnte diesbezüglich zu einer Zusammenarbeit kommen», sagte der lombardische Politiker Mario Mantovani von Silvio Berlusconis PdL-Partei.
Die «Grillini», wie sich die Anhänger des Genueser Kabarettisten nennen, schlossen jedoch eine Kooperation mit dem Mitte-rechts-Block um Berlusconi aus. «Ein Dialog mit Berlusconi ist unwahrscheinlich. Berlusconi schlägt nie Ideen vor, die für die Gemeinschaft nützlich sind», kommentierte der Grillo-Kandidat Alessandro Di Battista in Rom.
«Patt ist besorgniserregend»
Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici hat den Ausgang der italienischen Parlamentswahl derweil als Aufruf zu einer stärker auf Wachstum ausgerichteten Politik in Europa interpretiert. Europa müsse den Menschen eine andere Perspektive als reines Sparen bieten. Das Patt in Italien sei «ohne Zweifel besorgniserregend», fügte er hinzu. Er hoffe, dass Pier Luigi Bersani die Mehrheit seines Mitte-Links-Bündnisses im Abgeordnetenhaus nutzen könne, um eine stabile und reformorientierte Regierung zu bilden.
Auch die spanische Regierung hat den Ausgang der Wahl als äusserst besorgniserregend bezeichnet. «Das ist ein Sprung ins Nirgendwo, der nichts Gutes verheisst weder für Italien noch für Europa», sagte der spanische Aussenminister Jose Manuel Garcia-Margallo.
Es herrsche grosse Sorge, dass das Wahlergebnis mit seinen unklaren Mehrheitsverhältnissen zu Unsicherheit an den Finanzmärkten und steigenden Risikoaufschläge auf bestimmte Anleihen führen könnte.
SDA/bru
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