Von Kopf bis Fuss: Post-Corona«Wir lebten auf engem Raum, aber in verschiedenen Welten»
Eine gescheiterte Liebesbeziehung, schiefe Blicke und Corona auf Stand-by: Wie Gastbloggerin Silvia Jauch die Pandemie als Risikopatientin erlebte.

Ich liege seit einer Woche an einem fast menschenleeren Strand. Weit weg vom Alltag kann ich immer noch nicht recht glauben, dass ich hier bin. In den Ferien. Ohne Maske. Allein. Es ist nun beinahe zwei Jahre her, seit ich an dieser Stelle vom Corona-Alltag als Risikopatienten-Paar mit einem Schulkind erzählt habe. Zeit also für einen kurzen Rückblick und eine Standortbestimmung.
Und Rücksicht zu nehmen, war nicht jedermanns Sache.
Wenn ich zurückdenke, dann waren die ersten Wochen und Monate der Pandemie die schwierigsten. Die Ungewissheit und die Unsicherheit waren gross. Gross war auch die Zahl der selbsternannten Expertinnen und Experten, die genau wussten, was Sache war. Und viele von ihnen waren der festen Überzeugung, dass die vom Bundesrat getroffenen Massnahmen «eine völlig übertriebene Sache» waren.
Neue Schweizer Mentalität
Da ich mich schon früh und auch öffentlich auf Social Media für Schutzmassnahmen ausgesprochen hatte, begann ich plötzlich eine neue Schweizer Mentalität zu spüren, die mir zeitweise schlaflose Nächte bereitete. Für viele Menschen waren mein Partner und ich mitverantwortlich, dass ihre persönliche Freiheit eingeschränkt wurde. Denn wir galten ja wegen unserer Krankheiten als besonders «schützenswert», so wie eine aussterbende Tier- oder Pflanzenart. Und Rücksicht zu nehmen, war nicht jedermanns Sache. Das liess man uns auch spüren. Sei es mit flapsigen Sprüchen oder schiefen Blicken, wenn ich schon ganz am Anfang der Pandemie immer mit Maske unterwegs war. Oder mit der Frage, warum ich nicht mehr zu Treffen oder Einladungen erscheinen würde.
Zuhause versuchten wir drei einen guten Umgang mit der neuen Lebenssituation zu finden. Da wir noch nicht die Möglichkeit hatten, uns impfen zu lassen, lebten wir noch vorsichtiger als sonst. Im Gegensatz zu den sogenannten Gesunden, die sich zunehmend darüber beklagten, wie sehr ihnen das Virus und seine Auswirkungen aufs Gemüt schlugen, kannten wir den Alltag mit vielen Einschränkungen ja schon lange. Mein Partner leidet seit Jahren unter den Folgen einer Hirnstammblutung, ich unter schwerem Rheuma.
Wir wurden von der Corona-Dynamik ganz unterschiedlich getroffen.
Die vielen ständigen und kurzfristigen Planänderungen, wenn es beispielsweise um die Freizeitaktivitäten meiner Tochter ging, machten aus mir eine Organisationskünstlerin. Ständig war ich am Abwägen: Was war überhaupt möglich? Was konnte ich meiner Tochter zumuten – denn sie war ja durch unsere Krankheiten auch stärker belastet als andere Kinder. Glücklicherweise meisterte sie die neue Situation gut und bereitete mir nicht noch zusätzliche Sorgen.
Längerfristige Pläne zwischen uns Erwachsenen wurden immer öfters zur Seite geschoben. Dadurch fehlte vor allem meinem Partner die Perspektive. Ich war im Chaos des Alltags durchgehend beschäftigt, was mir im Nachhinein betrachtet viel Halt gab. Dass ich trotz meiner gesundheitlichen Beschwerden und Schmerzen die Kraft hatte, mein Pensum zu meistern, gab mir Selbstvertrauen. Selbstbewusstsein, das meinem Freund fehlte. Denn bei ihm gab es beinahe keine Erfolgserlebnisse.
Corona im Hinterkopf
Wir wurden also von der Corona-Dynamik ganz unterschiedlich getroffen. Mein Leben ging weiter. Meine Arbeit als Bloggerin setzte viel Konzentration und ein gewisses Tempo voraus, sodass ich keine Zeit zum Grübeln hatte. Das «übernahm» mein Partner, der sich sehr viele Sorgen über die Zukunft machte. Da wir so eng aufeinander klebten und ich die Einzige war, die am Abend etwas zu erzählen hatte, wurde auch unsere Kommunikation immer weniger. Wir lebten zwar auf kleinem Raum zusammen, aber in anderen Welten.
Noch bevor das Ende der Pandemie eingeläutet wurde, mussten wir uns eingestehen, dass unsere Beziehung Corona nicht überlebt hatte. Schweren Herzens beschlossen wir, uns zu trennen, uns aber in Freundschaft und Hilfsbereitschaft verbunden zu bleiben.
In meinem Hinterkopf ist die Corona-Pandemie noch nicht vorbei, sie ist auf Stand-by.
Natürlich könnte man jetzt sagen: Jetzt, da alles wieder normaler ist, könnte man ja beziehungsmässig wieder an der Zeit vor Corona anknüpfen. Aber so einfach ist es leider nicht. Die Zeit in der Isolation hat nicht nur schmerzhafte Spuren hinterlassen, sie hat meinen Ex-Partner und mich verändert.
In meinem Hinterkopf ist die Corona-Pandemie noch nicht vorbei, sie ist auf Stand-by. Umso mehr geniesse ich die Möglichkeit, in meinen Ferien weitab des Alltags all das zu geniessen, was für mich lange nicht möglich gewesen war. Im Freien mit anderen zu essen und zu trinken, ohne Angst vor einer Ansteckung. Nicht ständig die neuen Infektionszahlen zu checken, und in meiner Handtasche nicht ständig nach meiner Maske zu suchen. Besonders geniesse ich hier die trockene Hitze, die meinen rheumatischen Schmerzen besonders guttut. Ich bin jedenfalls optimistisch, auch weitere Herausforderungen, die der Alltag zu Hause mit sich bringt, allein oder auch zu zweit meistern zu können.
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