«Wir haben Toleranz falsch verstanden»
Der niederländische Soziologe Paul Scheffer sieht im Erfolg des Populisten Geert Wilders unterdrückte gesellschaftliche Konflikte aufbrechen.
Die Niederlande bekommen eine Regierung von Geert Wilders Gnaden. Ist dies das Ende der Niederlande als Hort der Toleranz?Das war schon immer eine sehr oberflächliche Wahrnehmung. Die Niederlande sind ähnlich wie die Schweiz, Dänemark, Österreich oder Belgien eine stark organisierte Gesellschaft, in der Konsens hochgehalten wird. Wir tun uns schwer, Konflikte offen auszutragen. Es war immer eine Toleranz in gewissen Grenzen.
Sind kleine Länder wie die Niederlande, Dänemark oder Österreich anfälliger für Rechtspopulisten?In kleinen Ländern war diese Illusion der Weltoffenheit vielleicht besonders ausgeprägt. Wir hatten in den Niederlanden ein starkes Gefühl der Unverletzlichkeit. Ab den Fünfziger- bis in die Neunzigerjahre waren wir überzeugt, dass uns nichts passieren kann, dass die Geschichte es gut meint mit uns. Das war natürlich ein schönes, entspanntes und lockeres Selbstbild. Heute spüren wir, dass wir verletzlich sind. Wir sind nicht die Weltbürger, die wir zu sein glaubten, wir haben auch unsere provinziellen Seiten. Wir dachten, wir seien die besseren Menschen in Europa. Ich finde es gut, dass es mit diesem Hochmut vorbei ist.