«Wir erleben eine aufregende Zeit des Kinos»
Olivier Père, Direktor des Filmfestivals von Locarno, über Krisen, Stars und seine Liebe zum Film.
Olivier Père sitzt in seinem kahlen Büro im dritten Stock an der Via Antonio Ciseri hinter der Piazza Grande. Der Termin beim Festivaldirektor bedurfte eines Kraftakts: Als wir dem Mann mit der Hornbrille endlich gegenübersitzen, haben wir fast so viele Zusagen und Absagen hinter uns wie Treppenstufen. Olivier Père ist ein gefragter Mann in diesen Tagen. Erschöpft sitzt er in seinem Lederstuhl. Vor ihm: ein Laptop, dessen Bildschirm nur halb zugeklappt ist, und leere PET-Flaschen. Ein Festival-Flyer ist zu einem Fächer gefaltet. Es ist warm im Büro, doch Père hat das weisse Leinenjackett nicht abgelegt. Zu Beginn des Gesprächs studiert er ausführlich die Schreibtischunterlage.
Weshalb? Das Kino ist in einer Krise, und gleichzeitig wird es revolutioniert. Durch die Digitalisierung können Filme mit immer weniger Geld gemacht werden. Zugleich ist die Menschheit – das hat Leos Carax in Locarno auf den Punkt gebracht – an einem Scheidepunkt: Die Welt steuert in die falsche Richtung, und es gilt, dagegen anzukämpfen. Das schlägt sich im Kino nieder. Für mich sind die grossartigen Filme unserer Zeit Filme über Widerstand, Filme, die gegen den Lauf der Welt aufbegehren, den Common Sense hinterfragen. Ich rede nicht nur von Independent-Filmemachern wie Carax, ich denke auch an einen Alain Resnais. Es ist aber gleichsam eine sehr traurige Zeit für das Kino. Wir haben herausragende Filmemacher – wo aber ist die Leidenschaft des grossen Publikums? Und ich vermisse bei vielen Kritikern echtes Herzblut. Es gibt so viele Filmemacher, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Das ist unser Antrieb in Locarno: diesen Meistern die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.