Basel in Festivalstimmung«Wild, kraftvoll und manchmal auch unbequem»
Das Wildwuchs-Festival feiert 2021 sein 20-Jahr-Jubiläum und bringt die Stadt mit seinem vielfältigen Programm zum Strahlen.

«Wenn Sie an Wildwuchs denken, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?», fragt das Festival-Team in einem Fragebogen. Zum Beispiel folgendes Bild:
Pünktlich um 13 Uhr zum Beginn des diesjährigen Wildwuchs-Festivals lichtete sich am Donnerstag der Himmel. Die Wolkendecke brach auseinander wie der Vorhang im Theater, und die Sonne erhellte die Hauptbühne des Festivals, das Kasernenareal. Schnell füllte sich die Wiese mit spielenden Kindern, tratschenden Eltern, sich küssenden Paaren. Mit älteren und jüngeren Leuten, die sich hier wohlfühlen: Für einige ist der Platz mit den Bars, den Bänken, den Bäumen und dem Brunnen eine Art zweites Wohnzimmer geworden.

Das Wildwuchs-Festival feiert sein 20-jähriges Jubiläum und sprüht vor Feststimmung. Die bekommt man unmittelbar zu spüren, nähert man sich der Kaserne, dem Kasko im Warteck oder dem Roxy Birsfelden, wo das Festival bis am 6. Juni spielt. Die Sonne wärmt die Haut, das Wildwuchs sorgt für Festivalfieber und endlich, endlich machen sich die Frühlingsgefühle breit.
Dies, auch wenn die Festival-Acts alles andere als fröhlich und leicht daherkommen. Seit 2001 rückt der gemeinnützige Wildwuchs-Verein mit seinem Festival gesellschaftliche Fragen in den Vordergrund und setzt sich für die Teilhabe aller an künstlerischen, sozialen und politischen Prozessen ein.

Damit war das Wildwuchs neben dem Zürcher Theater Hora 2001 einer der ersten professionellen Kulturveranstalter in der Schweiz, die inklusiv arbeiteten, wie Festivalgründerin Sibylle Ott im Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Gunda Zeeb und dem Wildwuchs-Präsidenten Martin Haug sagt. Kultur sei nur dann spannend, wenn auch alle Zugang zu ihr hätten, so Zeeb, die 2012 die künstlerische Leitung von Ott übernahm. Mit Zeeb öffnete sich das Festival thematisch und berücksichtigt seither nicht mehr ausschliesslich Produktionen von Menschen mit Beeinträchtigung, sondern auch Produktionen mit Menschen aus benachteiligten sozialen Zusammenhängen.
«Ich bin überzeugt, die Gesellschaft braucht die Randständigen.»
So präsentiert sich das Programm auch 2021: vielfältig, den Nerv der Zeit treffend und spannend. Auf dem Audiowalk «Haarig – Kultur im Alltag» von Anna Tschannen erfährt man eine Expressverwandlung. Man beobachtet die Wandlung nicht nur im Spiegel, wenn man auf dem Stuhl in Tschannens mobilem Coiffeursalon sitzt und sich einen kleinen Zopf flechten lässt. Während eine Stimme im Ohr Einblicke in bewegende Gespräche gibt, die die Baslerin in ihren 14 Jahren als Coiffeuse der Randständigen führte, erweitert sich der eigene Horizont merklich. «Ich bin überzeugt, die Gesellschaft braucht die Randständigen», lautet eine der Aussagen.

Andere Programmpunkte wirken schockierend und zwingen einen zum Nachdenken. So die Installation «Stricken» von Magda Kosinsky. Hier erlebt man sechs Videointerviews, die auf zusammengenähte Bettlaken, Handtücher und Kleidungsstücke aus den Schränken der Grossmütter der deutschen Protagonistinnen projiziert werden. Die Enkelinnen sprechen über die Vergangenheit ihrer Familie im Nationalsozialismus. «Woran erkenne ich, falls es wieder so schlimm kommt, dass man gehen muss?», fragt eine der Erzählerinnen, die in Deutschland täglich Rassismus erlebt. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter.

Im Roxy tanzt Helliot Baeza von der preisgekrönten Compania Danza Mobile aus Sevilla eine ausdrucksstarke, berührende 55-minütige Performance. Er erzählt davon, wie es gelingt, in einer Gesellschaft Brücken zu schlagen. Dem Tänzer gelingt es, grundsätzliche gesellschaftliche Debatten anzufechten – auf inspirierend wohltuende und unterhaltsame Weise.
«Wild, kraftvoll und manchmal unbequem», so beschreibt Regierungspräsident Beat Jans in der Festivalzeitung die Veranstaltung. Das bringt es auf den Punkt.
Das Wildwuchs-Festival findet bis am 6. Juni 2021 in der Kaserne, im Kasko und im Roxy statt. Informationen zum Programm und Tickets gibt es auf der Website.
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