Wieso rührte uns der Durchschlag am Gotthard?
Am Vortag vor dem Durchschlag am Gotthard hörte ich auf DRS 2 das Porträt über den Tunnelarbeiter Moll aus Graubünden. Diese Befragung eines einfachen Mannes, der in seinem schönen Bündnerdialekt erzählt, wie er in seiner Hütte mit Blechdach wohnt und im Tunnel nie genau weiss, ob seine Hütte nun vor oder hinter seinem Arbeitsort liege, weil er im «Loch» seinen Orientierungssinn verloren habe, hat auch mich zu Tränen gerührt. Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb das Durchbohren eines Gebirges gestandene Männer zum Weinen bringt? C. A.
Lieber Herr A. Puh
Mit Ihrer Frage berühren Sie einen rührseligen Punkt meiner eigenen Biografie. Als Schüler habe ich zweimal in den Ferien im Steinkohlebergbau (Schachtanlage Fürst Leopold, 3. Sohle auf minus 800 Metern) gejobbt, und bei der Erinnerung an diese Zeit bekomme ich noch heute, fast 40 Jahre danach, feuchte Augen.
Vielleicht aus ähnlichen Gründen wie Sie beim Anhören der Radio-Reportage über den Tunnelarbeiter Moll. (Oder bei den Berichten über die Rettung der chilenischen Mineure bzw. beim Gedanken an das «Wunder von Lengede» von 1963, bei dem elf Kumpel aus einer überfluteten Eisenerzgrube in der Nähe von Salzgitter gerettet wurden, nachdem man zunächst schon die Suche nach Überlebenden abgebrochen hatte.) Es gibt wohl kaum einen anderen Arbeitsort, der auch heute noch so umfassend alle heroischen Versatzstücke der industriellen Arbeit einerseits und der Auseinandersetzung mit einer schier übermächtigen, widerständigen Natur andererseits gleichsam bündelt.
Unter Tage hat – trotz allen unglaublichen technischen Fortschritts, den es seit den 60er-Jahren geben hat – eine Arbeitswelt überlebt, die den perfekten Nährboden für erhabene Ergriffenheit bietet: schmutzige, harte Arbeit, Solidarität und Klassenzusammenhalt, Stolz und Eigensinn, Bodenständigkeit und Multinationalität, Gottvertrauen und Mut bilden hier ein geradezu mythisches Konglomerat. Es sind halt besondere Kerle, die so tief im Schoss von Mutter Erde graben. (Heilige Barbara, vergib mir meinen Kitsch.)
Selbst wenn man sich der romantischen Überhöhung bewusst ist, die mit diesem Bild offensichtlich verbunden wird, so bleibt es doch im Wesentlichen immun gegen die Einsicht, dass auch diese Welt nicht so ideal und heldenhaft sein kann, wie wir sie vor unserem inneren Auge sehen. Irgendwie ist und bleibt sie es eben doch.
In diesem Sinne: Glück auf! (Und wenn Sie wieder mal währschafte Nahrung für die Tränendrüse haben wollen, empfehle ich Ihnen Mark Hermans nordenglisches Miner-Movie «Brassed off». Zum Heulen schön. Und lustig übrigens auch noch.)
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