Kriminalfall in den USAWieso der Fall Gabby Petito das Land fesselt
Der Fall einer verschwundenen 22-Jährigen ist in den USA zu einer nationalen Sensation geworden. In den sozialen Medien beteiligten sich Tausende an der Suche nach Gabby. Jetzt soll ihr Leichnam gefunden worden sein.

Seit dem 11. September wird Gabby Petito aus Florida nun bereits vermisst. Die 22-Jährige brach US-Medienberichten zufolge gemeinsam mit ihrem Freund Brian Laundrie im Juli zu einer Reise quer durch die USA auf. Mit einem ausgebauten weissen Ford Transit wollte das Paar von der Ostküste der USA bis an die Westküste fahren und die berühmten Nationalparks besuchen. Petito habe in regelmässigem Kontakt mit ihrer Familie gestanden, heisst es. Doch Ende August sei dieser abrupt abgebrochen.
Fälle von verschwundenen Personen gehören in den USA zum Alltag. Jährlich werden Hunderttausende als vermisst gemeldet. Es ist selten, dass ein einzelner Fall die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht. Doch Gabby Petito ist zu einer nationalen Sensation geworden und schlägt auch international hohe Wellen.
Selbst ernannte Detektive durchforsten das Internet
Grund dafür ist nicht zuletzt die Social-Media-Präsenz des Paares. Petito teilte von der Reise regelmässig Bilder und Videos glücklicher Momente vor der malerischen Kulisse amerikanischer Nationalparks. Das Paar küsst sich in einer Thermalquelle in Utah, Gabbys Freund entspannt in der Hängematte – das grösste Problem der beiden scheint, dass die Schokolade fürs Frühstück in der Wüstenhitze geschmolzen ist.
Die schönen Aufnahmen der Reise des jungen Paars stehen in heftigem Kontrast zu dem, was nun aus dem Trip geworden ist: ein Kriminalfall und die weitgehende Gewissheit, dass Gabby nicht mehr am Leben ist.
Mittlerweile folgen dem Instagram-Account von Petito über 900’000 Personen. Da landesweit nach der jungen Frau gesucht wurde, wollten viele in den USA das Rätsel um Gabby lösen. Auf jede neue Entwicklung folgt eine Flut von Posts und Videos auf Tiktok, Instagram und Twitter. Die Zahl der selbst ernannten Detektive stieg rasant an. Alte Posts von Petito wurden akribisch nach Hinweisen untersucht, Theorien diskutiert und widerlegt. Der Hashtag #gabbypetito wurde allein auf Tiktok mehr als 212 Millionen Mal aufgerufen.
Zwei Influencer wollen sogar dabei geholfen haben, die Überreste zu finden, bei denen es sich wahrscheinlich um die 22-Jährige handelt. Das Paar veröffentlichte ein Video, auf dem der weisse Wagen von Petito zu erkennen ist. Die Aufnahmen wurden am 27. August am Rand des Grand Teton National Park in Wyoming gemacht. Das Video ging viral. Wenige Tage später fanden Ermittler die vermutete Leiche von Petito nahe der Position des Wagens im Video.
«Ich denke, die Leute sind vom Fall so begeistert, weil man alles in Echtzeit miterleben und möglichen Hinweisen von Gabby und Brian auf Social Media selbst nachgehen kann», sagt die Datenanalystin Haley Toumaian gegenüber US-Medien.
Die Polizei prüft aktuell, ob der Instagram-Account von Petito abgeschaltet werden sollte. Zusätzlich zu den Social-Media-Beiträgen wurde über den Fall in vielen Medien berichtet. Bereits vor dem Fund der menschlichen Überreste in Wyoming am Sonntag wurde der Name Gabby Petito Dutzende Male auf CNN erwähnt. Die «New York Times» veröffentlichte eine Eilmeldung und einen Liveticker zum Verbleib der jungen Frau. «Fox News» verschickte mehrere Push-Nachrichten mit Updates zum Fall.
«Es ist offensichtlich, dass Gabby eine blonde, zierliche Frau der Generation Z ist, und das bringt Klicks.»
Im Interview mit der «New York Times» zeigte sich ein amerikanischer Medienexperte überrascht angesichts der unverhältnismässigen Aufmerksamkeit des Falls. Seiner Meinung nach wurde die Berichterstattung zwar vom Druck in den sozialen Medien verstärkt. Der Fall Gabby Petito sei aber auch ein Beispiel für das sogenannte «Missing White Woman Syndrome». Diesem zufolge wird über eine vermisste Frau mit einer höheren Wahrscheinlichkeit berichtet, wenn sie weiss ist.
«Wir können behaupten, dass der Fall so viel Aufsehen erregt, weil sie eine Vloggerin war», wird Alvin Williams, Produzent eines True-Crime-Podcasts, in dem Bericht zitiert. «Es ist aber offensichtlich, dass Gabby eine blonde, zierliche Frau der Generation Z ist, und das bringt Klicks.» Auch True-Crime-Formate, die in den vergangenen Jahren deutlich an Beliebtheit gewonnen haben, würden hauptsächlich Kriminalfälle von weissen Frauen thematisieren.
«Unsere Gesellschaft priorisiert weisse Menschen», bestätigt Kriminologe Scott Bonn gegenüber der «Washington Post». Wenn Petito eine farbige Frau wäre, so Bonn, wäre der Fall wahrscheinlich nie zu einer nationalen Sensation geworden. «Wir legen Wert auf Jugend und unsere Schönheitsideale. Plötzlich gibt es dieses attraktive junge Paar, das eine romantische Reise machen möchte, und dann geht etwas sehr schief.»
Polizei durchsucht Elternhaus des Freundes
Auch die Tatsache, dass Gabbys Freund Brian Laundrie mittlerweile verschwunden ist, heizt das Interesse am Fall an. Laundrie kam am 1. September laut Polizei allein zurück in sein Zuhause in Florida. Zehn Tage später meldeten Petitos Eltern ihre Tochter als vermisst. Der 23-Jährige hatte es nach bisherigen Angaben abgelehnt, mit der Polizei über die Geschehnisse zu sprechen. Er gilt als «Person von Interesse». Seine Familie teilte am Freitag mit, er sei bereits am Dienstag vergangener Woche zu einem Ausflug in ein Naturschutzgebiet in Florida aufgebrochen. Die Polizei suchte in dem Gebiet unter anderem mit Drohnen und Hunden nach ihm.

Inzwischen ist auch klar, dass der Roadtrip von Gabby und Brian nicht nur so harmonisch verlief, wie es die Social-Media-Bilder weismachten: Mitte August, rund zwei Wochen vor ihrem Verschwinden, wurde den Berichten zufolge die Polizei im US-Bundesstaat Utah wegen eines möglichen Falles von häuslicher Gewalt zu dem Paar und seinem Wagen gerufen. Auf den veröffentlichten Bodycam-Aufnahmen eines Beamten weint die 22-Jährige. Das Paar berichtet in dem über eine Stunde langen Video unter anderem von Streitigkeiten. Gabby sagt, sie leide unter einer Zwangsstörung, es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen. Dabei habe es auch Handgreiflichkeiten gegeben – Gabby habe ihren Freund geohrfeigt. Dieser erstattete keine Anzeige. Das Paar willigte ein, die kommende Nacht getrennt zu verbringen.
In dem Anruf, der den Einsatz auslöste, sagte jedoch der Augenzeuge, er habe gesehen, wie der Mann Petito geschlagen habe. Unter anderem der Sender Fox News spielte die Aufzeichnung des Telefonats vor. Auf dem Instagram-Account von Gabby wurden auch nach dem Vorfall noch Fotos von der Reise hochgeladen.
Am Montag durchsuchten Polizei und FBI das Haus von Brians Eltern in Florida, in dem das Paar zeitweise auch gelebt hatte. Der Anwalt seiner Familie wolle sich an diesem Dienstag äussern, hiess es. Für Dienstag steht auch die Autopsie der Leiche an, welche die Ermittler am Wochenende in einem Nationalpark im Bundesstaat Wyoming gefunden hatten. Sie gehen davon aus, dass es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um Gabby Petito handelt.
Mit Material der Agenturen SDA und AFP.
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