Wie warnt man Schweizer in 10'000 Jahren vor Atommüll?
Tonscherben, mythologische Erzählungen, strahlende Katzen: Bei der Frage, wie Atommüll-Endlager gekennzeichnet werden können, gibt es viele Ideen. Ein Schweizer Geologe hat die Vorschläge bewertet.
Die Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort für Atommüll ist nicht das einzige Problem, mit dem sich die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) auseinandersetzt. Denn ist der Abfall erst vergraben, müssen künftige Generationen davor gewarnt werden. Doch wie? Von Steinsäulen über Tonscherben bis zur Schaffung mythologischer Erzählungen steht alles zur Diskussion.
Wie werden die Menschen in ein paar tausend Jahren leben? Welche Sprache werden sie sprechen, welche Schrift verwenden? Und wie kann man sie vor einem Endlager mit hochgiftigem Atommüll warnen? Diese Fragen mögen hypothetisch klingen. Doch das Tiefenlager wird kommen, und das Kernenergiegesetz schreibt vor: Es muss dauerhaft markiert werden.
Gedankenreise in die Zukunft
Während ein Teil des atomaren Abfalls nur etwa 1000 Jahre strahlt, sind es beispielsweise beim Uran mehrere Milliarden Jahre. Die Schweiz will hochaktive Abfälle deshalb für rund eine Million Jahre von Mensch und Umwelt abschirmen. Und für mindestens 10'000 Jahre müssen künftige Generationen davor gewarnt werden. Zum Vergleich: Die Pyramiden der alten Ägypter sind noch keine 5000 Jahre alt, und ihre Hieroglyphen wurden erst im 19. Jahrhundert entschlüsselt.
Wie also sind Endlager zu kennzeichnen, damit die Warnung noch in 10'000 Jahren verstanden wird? Über diese Frage zerbrechen sich Fachleute rund um den Globus den Kopf. Der Geologe und Sozialwissenschafter Marcos Buser vom Institut für nachhaltige Abfallwirtschaft in Zürich hat die bisher bekannten Vorschläge gesichtet und bewertet.
Für die Markierung an der Erdoberfläche hat er einen klaren Favoriten: den Einsatz Zehntausender oder sogar Millionen Tonscherben. «Das Material darf nicht wertvoll sein, da es sonst gestohlen wird», sagte Buser zur Nachrichtenagentur sda. Zudem müsse es im Überfluss vorhanden sein, damit es den Leuten verleide. Mit den Tonstücken könnten Warnzeichen wie Totenschädel oder Strahlenzeichen geformt werden. Für weniger tauglich hält Buser Monumente aus Stein, Erdwälle oder Inschriften - sie könnten zerfallen, verwittern oder abtransportiert werden.
«Es braucht eine Erinnerungs- und Hütekultur»
Wichtig sei es hingegen, die Dörfer bei den Lagerstandorten einzubeziehen: «Es braucht eine Erinnerungs- und eine Hütekultur.» Deshalb soll beispielsweise die Standortgemeinde den Auftrag erhalten, das Wissen über die Gefahr von Generation zu Generation weiterzugeben. Für Buser ein gewaltiges Projekt: «Man erkennt erst jetzt langsam, dass das ein Problem ist.»
In seiner Studie beurteilt der Autor - «trotz aller Kritik» - auch den Ansatz mythologischer Erzählungen als interessant. Damit könne der Kern der Botschaft in Geschichten verpackt und weitergegeben werden. «Alle grossen Mythen von Völkern dieser Erde haben eine gewaltige Aufnahme in der Zeit erfahren», schreibt Buser und verweist auf babylonische Mythen und die biblische Schöpfungsgeschichte.
Selbst bizarr anmutende Vorschläge sind in der Vergangenheit herumgeboten worden. So schlug die französische Wissenschafterin Françoise Bastide 1990 vor, Strahlenkatzen zu züchten: Katzen sollten genetisch so markiert werden, dass sich ihre Haut beim Kontakt mit Strahlung verfärbt.
Lager plündern und Bomben bauen
Die Warnung der Menschen vor dem Atommüll ist nicht das einzige Problem. Man müsse, sagt Geologe Buser, auch das Endlager vor den Menschen schützen: «Es ist denkbar, dass die Menschen ein Lager plündern und aus Plutonium Bomben bauen.» Friedenszeiten seien nun einmal nicht der Normalfall in der Geschichte. Ausserdem gibt es kaum Vorbilder. Weltweit existiert zurzeit noch kein dauerhaftes Endlager für hochradioaktive Abfälle aus der Energienutzung.
Seit 1999 steht im US-Bundesstaat New Mexico die Waste Isolation Pilot Plant, ein Endlager für Transurane aus der Atomwaffenproduktion. Markiert werden soll es unter anderem mit acht Meter hohen Granitsäulen. Dieser Variante steht Buser wegen des Werts von Granit kritisch gegenüber.
Entscheid erst in dreissig Jahren
Marcos Busers «Literaturstudie zum Stand der Markierung von geologischen Tiefenlagern» ist 2010 erschienen, hat jedoch in der breiten Öffentlichkeit keine Wellen geworfen. Laut Bundesamt für Energie (BFE) sollen die Erkenntnisse daraus in die internationale Diskussion einfliessen. Die Schweiz beteiligt sich an einem Projekt der OECD, das sich mit der Markierung beschäftigt. Laut Buser geht es hier im Kern vor allem um eines: «Die Pflicht, aus einer miserablen Situation das Beste zu machen.»
Die Schweiz wird über ihr Markierungskonzept noch lange nicht entscheiden. Gemäss BFE dürfte es 2040 bis 2044 werden, bis ein Entscheid im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens für ein Endlager fällig wird. Die Entwicklung eines Markierungskonzepts ist Sache der Nagra, der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle.
SDA/fko
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