Wie Macron die Wirtschaft Frankreichs hinbiegen soll
Sie nennen es «Macronomie» – Emmanuel Macrons Mittel gegen das geringe Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und gewaltige Staatsschulden. So funktioniert sie.
«Macronomie» soll Frankreich den Aufschwung bringen. Nach zehn Jahren relativer Flaute will Emmanuel Macron den Arbeitsmarkt reformieren, den Freihandel vorantreiben und einen noch engeren Schulterschluss mit der Europäischen Union suchen.
Doch damit steht er vor keiner einfachen Aufgabe. Macrons Ziel ist ein Wirtschaftswachstum, das mindestens dem vor Beginn der weltweiten Finanzkrise 2008 entspricht. Seitdem liegt das Plus im Durchschnitt bei kaum einen Prozent pro Jahr. Viele Experten machen dafür den vergleichsweise unflexiblen Arbeitsmarkt verantwortlich. Deutschland und Grossbritannien als wichtigste Vergleichsländer Frankreichs schnitten deutlich besser ab.
Die Wachstumsrate ist zu niedrig, um rasch Jobs zu schaffen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Diese hält sich hartnäckig bei mehr als zehn Prozent, fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Bei den unter 25-jährigen Franzosen beträgt die Arbeitslosigkeit sogar fast 25 Prozent und damit drei Mal mehr als bei gleichaltrigen Deutschen.
«Eine echte Gelegenheit für Reformen»
Die meisten Berufstätigen bekamen den relativen Niedergang im Portemonnaie deutlich zu spüren. Zur Jahrtausendwende lag das durchschnittlichen Monatseinkommen in Frankreich noch gleichauf mit dem in Deutschland. Heute dagegen liegt es um bis zu zehn Prozent dahinter zurück. Zugleich wuchsen die Staatsschulden beständig und haben nun ein historisches Hoch von nur knapp unter 100 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts erreicht. Die Entwicklungen summieren sich zu einer enttäuschenden Dekade für ein Land mit grossem Potenzial, hoher Produktivität und einer breit aufgestellten Industrie.
Bildstrecke – die Stichwahl in Frankreich:
Entsprechend richten sich grosse Hoffnungen auf Macron. Der künftige Präsident biete seinem Land «eine echte Gelegenheit für Reformen», die «sowohl die französische Wirtschaft beleben als auch seine Position in Europa stärken werden», sagt Charles Grant, Direktor des der britischen Interessengruppe Centre for European Reform.
Der politisch gemässigte Macron, der als Investmentbanker und Wirtschaftsminister gearbeitet hatte, könnte einen guten Start erwischen. Die französische Wirtschaft scheint in den vergangenen Monaten Fahrt aufgenommen zu haben. Das Niveau der Geschäftstätigkeit erreichte Umfragen zufolge ein Sechs-Jahres-Hoch. Dieses dürfte zum Teil auf Reformen zur Erleichterung von Einstellungen zurückzuführen sein.
Reduzierung der Staatsausgaben
Gründe sind aber auch ein breiterer Aufschwung in Europa und ein globales Wachstum. Doch allein auf den Rückenwind einer unberechenbaren Weltwirtschaft kann sich der künftige französische Präsident bei seinen geplanten Reformen nicht verlassen. Berechnungen zufolge könnte seine Agenda das jährliche Wirtschaftswachstum Frankreichs bis 2022, dem Jahr der nächsten Präsidentschaftswahl, um 1,2 Prozentpunkte steigern.
Im Mittelpunkt der Reformpläne steht eine Reduzierung der Staatsausgaben auf 52 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Aktuell liegt der Wert bei 55 Prozent und ist damit an der Spitze der EU. Macron will das jährliche Haushaltsdefizit im Rahmen der Maastricht-Kriterien weiter bei unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten. Auf dem Arbeitsmarkt will er Tarifverhandlungen von der Industrie- auf die Unternehmensebene dezentralisieren, um flexiblere Abschlüsse zu ermöglichen.
Die Körperschaftssteuer soll von schätzungsweise 33,3 Prozent auf 25 Prozent sinken. Gesenkt werden soll auch die Lohnsteuer, um Einstellungen günstiger zu machen. Als direkte Massnahme für mehr Beschäftigung plant Macron strengere Regeln bei der Arbeitslosenhilfe und mehr Investitionen in Ausbildung. Insgesamt 50 Milliarden Euro will er für die Modernisierung des Landes etwa in Umwelttechnik, Gesundheit und Verkehr ausgeben.
Wunsch nach Veränderung
Wirtschaftliche Erfolge werden entscheidend sein, um der Ernüchterung vieler Franzosen entgegenzuwirken, die der rechtspopulistischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen in die Hände gespielt hatte. Der Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung zeigte sich deutlich im Wahlergebnis: Le Pen und der sozialistische Kandidat Jean-Luc Mélenchon hatten in der ersten Runde zusammen 41 Prozent der Stimmen erhalten.
Doch ein Umbau der französischen Wirtschaft ist kein Kinderspiel. Macrons Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy scheiterten beide daran und mussten nach je einer Amtszeit gehen.
Macrons Erfolg wird massgeblich davon abhängen, ob es ihm nach den Parlamentswahlen im kommenden Monat gelingt, eine reformwillige Mehrheit in der Nationalversammlung hinter sich zu bringen. Und das scheint alles andere als sicher. Denn seine Bewegung La République en Marche tritt zum ersten Mal an - und das gegen Rivalen, die entschlossen sind, jegliche Reformbemühungen zu blockieren. Im schlimmsten Fall könnten sie Macrons Präsidentschaft zu Fall bringen, bevor sie überhaupt anfängt.
«Dickköpfig und konservativ»
Grant vom Centre for European Reform sagt, Macron wisse als ehemaliger Wirtschaftsminister unter Hollande sehr genau, was auf ihn zukomme. «Als Minister hat Macron festgestellt, dass Lobbygruppen, Gewerkschaften und Parteiaktivisten dickköpfig und konservativ sind», erklärt der Experte. «Es ist ihm gelungen, den Busverkehr, die Ladenöffnungszeiten und die Rechtsberufe zu liberalisieren, aber er hatte noch viel mehr vor.»
Die Gewerkschaften haben schon deutlich gemacht, was sie von Macrons Kurs und vor allem den Arbeitsmarktreformen halten: Nur wenige Stunde nach seinem Wahlsieg zogen Tausende Demonstranten aus Protest gegen seine liberale Wirtschaftsagenda durch die Strassen von Paris.
dapd/woz
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch