Wie der Zwerg mit dem Riesen umgeht
Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat viel Erfahrung im Austausch zwischen der Schweiz und China.

Jahrelang, jahrzehntelang waren die Länder in Westeuropa auf die USA fixiert, gerade wenn es um Handel und Forschung ging. Dass sich der schlafende Riese China Schritt um Schritt zu einer Gegenmacht entwickelte, ging beinahe unter.
An der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), 2006 von den vier Kantonen Basel-Stadt, Baselland, Aargau und Solothurn gegründet, kann die Hochschule für Wirtschaft mit Fug und Recht behaupten, sie habe schon sehr früh erkannt, welche Bedeutung China erlangen werde – und habe sich darum bemüht, Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu sammeln, Wissen zu horten.
Peter Abplanalp, ehemaliger Direktor der damaligen FH Solothurn, hat vor 25 Jahren erste Fäden nach China gesponnen. Ruedi Nützi, sein Nachfolger, hat diese Tradition aufrechterhalten, gepflegt und sogar noch intensiviert. Die FHNW hat mittlerweile an ganz verschiedenen Orten in China ein «pied à terre», einen Fuss auf dem Boden. Aktuell verfügt sie über mehr als 20 Partnerschaften in ganz verschiedenen chinesischen Provinzen, von Harbin ganz im Nordosten bis nach Shenzen im Süden, von Shanghai ganz im Osten bis Lanzhou nahe der Grenze zur Mongolei.
Der Austausch funktioniert
Die BaZ hatte auf Einladung von Ruedi Nützi vor vier Jahren Gelegenheit, bei einer Reise nach Harbin dabei zu sein, bei der es unter anderem darum ging, mit der renommierten Technischen Hochschule dort eine Kooperation zu vereinbaren. Das war mit recht grossem Brimborium verbunden, und dass mit Remo Ankli ein Solothurner Regierungsrat mit von der Partie war, zeigt, wie viel Gewicht derartigen «Expeditionen» beigemessen wird und wie wichtig dieses Gewicht ist, um von der Gegenseite respektiert zu werden.
In Olten, Sitz der Hochschule für Wirtschaft der FHNW, sind regelmässig hochrangige Vertreterinnen und Vertreter chinesischer Firmen zu Besuch. Umgekehrt reisen ebenso regelmässig Studierende aus der Nordwestschweiz nach China, um vor Ort selber praktische Erfahrungen im Reich der Mitte zu sammeln.
Mehr als tausend chinesische CEO und Regierungsvertreter hat die FHNW in den vergangenen fünf Jahren in Managementprogrammen in der Schweiz ausgebildet. Der Austausch funktioniert – wenigstens scheint es so. Mehrere KMU haben sich zudem schon Know-how von der FHNW geholt, um sich im chinesischen Markt zu probieren, im Idealfall zu etablieren.
«Swiss China Update»
Ende Juni lud Nützi zum «Swiss China Update 2018» nach Olten. Die Veranstaltung wurde eine wertvolle Bestandesaufnahme, eine recht schonungslose Analyse dessen, was wirklich im «kleinen» Austausch, also nicht auf Regierungsebene, zwischen den beiden so ungleichen Ländern China und Schweiz bis jetzt erreicht worden ist.
An der Veranstaltung nahmen rund 150 Vertreterinnen von KMU und mittelgrossen bis grossen Betrieben, von Universitäten und Fachhochschulen aus der ganzen Deutschschweiz und nicht etwa nur aus dem Raum Aarau, Basel, Solothurn teil. Etwas präziser: Das Spektrum der repräsentierten Firmen reichte von der Suteria Chocolata AG in Olten oder der Maison Truffe AG in Stäfa (ZH) bis hin zu SBB, ABB, Novartis und Roche.
Interesse zeigten aber auch verschiedenste institutionelle Vertreter: Uni Basel, Uni Zürich, ZHAW, der Kanton Basel-Stadt oder die ETH Zürich. Und, last, but not least, auch die Tourismus-Branche bekundete mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern grosses Interesse am «Swiss China Update».
Positiv und negativ
Das Fazit, auf den Punkt gebracht und gegliedert in «positiv» und «negativ»: Das grosse, anhaltende Interesse an China steht ebenso auf der Plus-Seite wie die Erkenntnis, dass es eine langfristige Strategie braucht und dass es nicht ohne Vertrauen geht. Das setzt Zeit, Investment und das «Ganbei» voraus; mit Letzterem ist der chinesische Trinkspruch gemeint, hier steht das Schlagwort allerdings stellvertretend für die unabdingbare kulturelle Offenheit.
Dazu gehört zum Beispiel ein gewisses historisches Bewusstsein. Wer das hat, wird auch wissen, dass China keine neue Macht im globalen Spiel ist, sondern bis vor rund 150 Jahren diese Rolle innehatte. Der Ausdruck «reemerging giant» war in Olten gelegentlich zu hören. Ein wieder aufstehender Riese.
Länger fiel die Liste der negativen Punkte aus: All die schönen Memorandums of Understanding sind kaum das Papier wert, weil sie oft schnell in Vergessenheit geraten. Für die chinesische Seite sind diese «Partnerschaften» mit irgendwelchen Unis oder Kommunen praktisch nie exklusiv, sondern ein Abkommen unter (sehr) vielen mit
Angst vor Spionage
Mehrere Vertreter von kleineren und mittleren Unternehmen gaben zudem freimütig zu, dass sie inzwischen Angst haben, Delegationen aus China zu empfangen, weil sie gezielte Spionage befürchten, also die Absicht, hier bei uns etwas abzukupfern, was früher oder später jede Zusammenarbeit obsolet macht.
Weitere Punkte: Es häuft sich die Erkenntnis, dass der chinesische Markt nicht wirklich frei ist, einem Schweizer Unternehmen sich grosse Hürden in den Weg stellen. Synergien und wertvolle, dauerhafte Kontakte gebe es kaum, die Sprachbarriere sei sehr hoch, lautete die Erkenntnis.
In der Schlussrunde der dreistündigen Veranstaltung formulierte es ein Redner so: «Wer meint, sein kriselndes Unternehmen mit einer Expansion in den riesigen, chinesischen Markt in Schuss bringen zu können, begeht einen grossen Fehler.» Vom Handel mit China könne man nur dann profitieren, wenn man die Ressourcen und das Know-how habe, die Geschäftsbeziehungen in die doch ziemlich fremde Welt relativ intensiv zu pflegen, das heisst, einen konstanten Austausch, eine konstante Kommunikation zu gewährleisten.
Zentralismus – Föderalismus
Botschafter Johannes Matyassy, Chef der Abteilung Asien und Pazifik im EDA (Amt für auswärtige Angelegenheiten), hatte bei seinem Eingangsreferat einen Punkt besonders herausgearbeitet: die fehlende Industriepolitik der Schweiz. Mit anderen Worten: das Fehlen einer einheitlichen, zentral geregelten Koordination im Kontakt mit China. Oder anders gesagt: Während in der autoritär und streng hierarchisch geführten Grossmacht alles via Peking läuft und von dort gesteuert wird, sieht das in der föderalistischen Schweiz völlig anders aus. Hier wurstelt fast jeder für sich.
Jede Stadt schliesst ihre eigene Städtepartnerschaft, jede Uni sucht sich freihändig ihre Partneruni, jedes Unternehmen, ob gross oder klein, strickt sich sein eigenes Konzept. Matyassy verurteilte das explizit nicht, holte es den Anwesenden nur ins Bewusstsein.
Ruedi Nützi, Mitglied der Delegation von Bundesrat Johann Schneider-Ammann beim Staatsbesuch in Peking im April 2016 und Träger des Friendship Awards, der höchsten Auszeichnung Chinas an ausländische Experten, sagte dagegen klipp und klar: «Die Schweiz braucht eine China-Strategie!»
Sehr, sehr selbstbewusst
Worauf es hinauslaufen könnte, liess Xinhua Wittmann erkennen. Sie ist Dozentin an der FHNW und gebürtige Chinesin. In einem erstaunlich forschen, sehr selbstbewussten Ton referierte sie im Anschluss an Johannes Matyassy zum Thema «Wohin steuert China in den nächsten Jahren?» Die Essenz: China ist mit seiner weltoffenen, globalen Strategie auf viel besserem Weg als das Amerika des Donald Trump, nicht zuletzt weil ein amerikanischer Präsident auf politischen Druck hin immer nachgeben müsse.
Diese Bemerkung ist in doppelter Hinsicht interessant. Offenbar hält Frau Wittmann die autoritäre Führung eines Staates jener einer Demokratie deutlich überlegen. Und zweitens scheint sie keine Sekunde daran zu zweifeln, dass Xi Jinping auf unbeschränkte Zeit alle Macht in seinen Händen hat und damit jederzeit selber entscheiden kann, wie es mit China weitergeht.
Es war bei ihr eine Portion Arroganz und Selbstbewusstsein zu spüren, wie es bei chinesischen Gesprächspartnern ganz selten der Fall ist und was bei einigen anwesenden Chinesen auch prompt für Stirnrunzeln sorgte.
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