Papablog: Interview mit dem SohnWie aus Flüchtlingen Freunde werden
Die Kinder des Autors haben in den Frühlingsferien ukrainische Flüchtlinge kennen gelernt – Begegnungen, die bewegen.

Heile Welt irgendwo auf dem Land zwischen Biel und Bern: Meine Kinder verbringen eine Woche ihrer Frühlingsferien bei den Grosseltern. Das ist seit Jahren so, aber in diesen Ferien war etwas anders. Nebst Grossmueti und Grossvati waren nämlich noch weitere Gäste im Haus – Ludmilla und Edvard, beide Mitte fünfzig. Das ukrainische Ehepaar kommt aus einem Ort am Asowschen Meer unweit von Mariupol, jener Hafenstadt, die im Zuge des Ukrainekriegs traurige Berühmtheit erlangt hat. Ludmilla und Edvard sind Kriegsflüchtlinge. Ihre Tochter, deren Mann und die drei Kinder sind ebenfalls im Dorf meiner Eltern einquartiert. Sie sind dort – weit weg von ihrem Zuhause – bis auf unbestimmte Zeit gestrandet. Bis der Krieg vorbei ist, bis sie zurückkönnen, um wiederaufzubauen, was einst ihr Land war.
Meine Kinder haben sich sehr auf die Ferien bei den Grosseltern gefreut, nicht zuletzt wegen der ukrainischen Kinder. Im Gegensatz zu uns Erwachsenen sind die Berührungsängste völlig fremden Menschen gegenüber bei den Kids scheinbar wesentlich kleiner. Denn sobald ein Ball auf den Rasen kugelt oder ein Trickfilm im TV läuft, sind Kinder einfach Kinder. Sie spielen, lernen voneinander, entdecken sich – zumindest in diesem Fall, in einer heilen Welt im Bernbiet zwischen Kühen und Schoggiglacé. Wie mein Sohn (9) die Zeit mit der Flüchtlingsfamilie erlebt hat.
Wen hast du alles kennen gelernt in den Ferien?
Ludmilla und Edvard, die bei Grossmueti wohnen. Die «Grosschind» und ihre Eltern sind etwa zehn Minuten entfernt in einem anderen Haus. Arseni ist schon in der fünften Klasse, Platon geht in den Kindergarten, Lisa ist noch klein, etwa drei Jahre alt oder so.
Warum konnten sie nicht mehr in der Ukraine bleiben?
Wegen dem Krieg mussten sie weg. Das ist sehr traurig. Ludmilla und Edvard haben dort an einem See ein kleines Hotel für ukrainische Touristen. Also eines, wo die Gäste selbst kochen müssen. Aber inzwischen haben russische Soldaten das Haus besetzt, glaube ich.
Welchen Eindruck hattest du von dieser Familie?
Ich fand sie recht gut. Ganz ehrlich, Edvard war zwar nett, hat aber ein bisschen grimmig ausgesehen. Ausserdem hat er einen silbrigen Zahn. Ludmilla war immer megafest geschminkt. Die Kinder haben normal ausgesehen. So wie Kinder aussehen.
Du hast dich vor den Ferien vor allem auf Platon gefreut. Wie war diese Begegnung für dich?
Ich war gespannt, ob er auch Scooter fährt und den «Tail Whip» kann (ein Trick, bei dem der Fahrer aufspringt und dabei mit dem Trittbrett eine Drehung um die Lenkstange ausführt, um danach wieder darauf zu landen).
Und?
Wir sind schon auch Scooter gefahren, haben aber mehr Fussball gespielt und so. Mit den Grosseltern haben wir am Abend viel Memory und andere Spiele gespielt.
Wie habt ihr euch verständigt?
Mit dem Handy. Alle hatten eine automatische Übersetzungs-App installiert. Da konnte man Hochdeutsch ins Handy sprechen und dann wird es auf Russisch übersetzt, das verstehen sie in der Ukraine.
Hat das gut funktioniert?
Nicht immer. Manchmal hat es nicht richtig übersetzt, aber meistens ging es gut. Platon und ich haben uns irgendwie immer verstanden. Einige Wörter waren sogar ähnlich: «Futbol» oder «Television» für den Fernseher. Ab und zu haben wir auch ein bisschen Englisch gesprochen oder eben mit Händen und Füssen gezeigt, was wir meinen.
Wie war das für dich, mit jemandem zu spielen, der deine Sprache nicht kann?
Da muss man halt ein bisschen Geduld haben. Aber wir hatten trotzdem Spass.
Was wünschst du diesen Menschen?
Dass sie bald wieder nach Hause können und der Krieg ein Ende hat.
Würdest du sie gerne besuchen, wenn sie wieder in der Ukraine sind?
Ja, aber nur, wenn es nicht gefährlich ist.
Danke für das Interview!
Gern geschehen.
Nun, ich habe die ukrainischen Gäste inzwischen auch kennen gelernt. Feine Menschen, die in der Fremde darauf warten, dass sich die Situation in ihrem Land normalisiert. Ohne allzu moralisch zu werden: Meine Eltern und meine Kinder tragen dazu bei, dass der unfreiwillige Aufenthalt von Ludmilla, Edvard und ihrer Familie etwas angenehmer ist, darauf bin ich stolz. Gleichzeitig nehme ich mir vor, künftig offener auf die Menschen zuzugehen. Es gibt viele Gründe, sich füreinander einzusetzen, sich zu interessieren und zu unterstützen – es muss nicht immer gleich ein Krieg sein.
Fehler gefunden?Jetzt melden.