Weshalb nicht jeder Schwerverletzte schwer verletzt ist
Hat ein leicht verletztes Unfallopfer nur ein paar Schrammen oder nicht? Für die Beschreibung von Verletzungen in Polizeimitteilungen gibt es keine einheitlichen Regeln. Dies führt oft zu Verwirrungen.

Ein Beispiel: «Am 16. Juli 2011 gegen 12.55 Uhr ereignete sich in Oberwald auf der Furkastrasse ein Verkehrsunfall», teilte die Walliser Kantonspolizei neulich mit. Ein Lenker prallte mit seinem Auto in die Felswand – das Auto überschlug sich und blieb auf dem Dach liegen.
Die Polizei schrieb: «Während der Lenker und eine Mitfahrerin beim Unfall lediglich leicht verletzt und mit einer Ambulanz ins Spital transportiert wurden, musste ein Mitfahrer mit schweren Verletzungen ins Inselspital nach Bern überflogen werden.»
Leichtverletzter mit ein paar Prellungen
Communiqués wie dieses verfassen die Schweizer Polizeikorps en masse. Die Meldungen füllen Zeitungsspalten, Online-Portale und werden am Radio vorgelesen – und sie lassen in den Köpfen der Leserinnen und Hörer Bilder der Verletzten entstehen.
4458 Personen haben sich laut Bundesamt für Statistik im Jahr 2010 auf Schweizer Strassen schwere Verletzungen zugezogen. 19'779 wurden leicht verletzt, und 327 kamen ums Leben. Die Frage ist nur: Trägt ein Leichtverletzter zwangsläufig bloss ein paar Prellungen davon? Und wird jeder Schwerverletzte auf der Intensivstation betreut?
Polizisten im Dilemma
Die Krux: Die Verwendung von Begriffen wie «schwer verletzt» in Communiqués ist keine exakte Wissenschaft. Die Ausdrücke beruhen auf keiner genauen ärztlichen Diagnose, sondern sind vielmehr eine Momentaufnahme am Unfallort. Diese muss schnell erfolgen und wird von Polizisten vorgenommen – aufgrund der Angaben von Sanitätern oder Notärzten. Deshalb können sie sich im Nachhinein auch als falsch erweisen.
«Es gibt keine schweizweit einheitlichen Richtlinien für diese Einschätzung», sagte Meinrad Stöcklin zur Nachrichtenagentur SDA. Stöcklin ist Präsident der Schweizerischen Polizeisprecherkonferenz und Sprecher der Polizei Basel-Landschaft.
Ihm zufolge stecken die Polizeien in einem Dilemma: «Einerseits will die Polizei nur Fakten und keine Spekulationen kommunizieren, anderseits wollen die Medien möglichst präzise Angaben.»
Schwer verletzt und einen Tag im Spital
Die kantonalen Polizeien gehen denn auch ganz unterschiedlich damit um. Während etwa die Kantonspolizei Zürich möglichst präzise Angaben macht, verzichtet die Berner Polizei bewusst darauf. Die Basel-Landschäftler gehen einen Mittelweg.
Die Medienstelle der Zürcher Kantonspolizei verwendet in ihren Communiqués Ausdrücke wie «leicht», «mittelschwer», «schwer» oder «lebensgefährlich» verletzt sowie Formulierungen wie «in kritischem Zustand». Fehle eine Präzisierung, hakten die Medien umgehend nach, sagte Sprecher Werner Benz.
Es gibt Unterschiede
Bei der Beurteilung orientieren sich die Zürcher Polizisten laut Benz an dem, was auch die Bevölkerung gemeinhin unter den Verletzungsgraden versteht. Als Schwerverletzter gilt beispielsweise jemand mit Schädelbruch oder zertrümmerten Beinen.
Ganz anders sieht die Einteilung im Unfallprotokoll aus, welches die Polizei für statistische Zwecke ausfüllen und ans Bundesamt für Strassen (Astra) schicken muss. Diese Codierung spielt allerdings für die Formulierungen in den Communiqués keine Rolle. Das Protokoll kennt – neben nicht verletzten und getöteten Personen – lediglich zwei Kategorien: «leicht verletzt» und «schwer verletzt».
Leicht verletzt ist demnach jemand, der «geringe Beeinträchtigungen» wie oberflächliche Hautverletzungen hat und der die Unfallstelle aus eigener Kraft verlassen kann. Ein Schwerverletzter schwebt nicht etwa in Lebensgefahr, sondern hat «sichtbare Beeinträchtigungen» wie Bewusstlosigkeit oder Knochenbrüche – und muss mindestens einen Tag lang im Spital bleiben.
Bern: Möglichst keine Details
Diese Kategorisierung hat auch bei der Kantonspolizei Bern für die Communiqués keine Bedeutung. Die Berner verzichten gar seit geraumer Zeit auf genaue Angaben und schreiben – mit wenigen eindeutigen Ausnahmen – nur von «Verletzten». Dies deshalb, weil die Einschätzung oft schwierig sei, wie Sprecherin Daniela Sigrist ausführte. Selbst ein scheinbar leicht Verletzter könne innere Verletzungen haben.
Wesentlich detaillierter fällt dann die medizinische Diagnose durch Ärzte und Spitäler aus. Sie hat jedoch in den meisten Fällen keine Bedeutung mehr für die Berichterstattung in den Medien.
Der Schwerverletzte vom Unfall auf der Furkastrasse hatte übrigens nicht ganz so viel Pech, wie es die Berichterstattung befürchten liess. Er konnte – trotz Hirnerschütterung – das Spital noch am selben Tag wieder verlassen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch