Weshalb Gute-Laune-Bär Djourou den HSV stört
Der Hamburger SV steckt schon wieder tief im Abstiegskampf – am Sonntag gegen Mainz hat er sein nächstes Schicksalsspiel.

Zitiere nie einen Fan. Oder den Taxifahrer. Dies sind goldene Regeln für Journalisten. Wir wollen für einmal trotzdem mit ihnen brechen. Ali ist nämlich Taxifahrer und Fan, Fan des Hamburger Sportvereins. An jenem nasskalten Samstagnachmittag sitzt er auf der Tribüne des Volksparkstadions, der HSV verliert gerade sein Heimspiel gegen Augsburg. Das Jahr ist nicht entscheidend, der Vollständigkeit halber: Jan-Ingwer Callsen-Bracker, der Mann mit dem coolsten Namen der Bundesliga-Geschichte, hat das einzige Tor geschossen.
Unwichtig ist das Jahr, weil sich die zufällige Begegnung mit Ali im Stadion in fast jeder der letzten fünf Saisons zugetragen haben könnte. Einen einstelligen Tabellenplatz hat der HSV in diesen fünf Jahren nur einmal belegt, 2015 war das. Dreimal war er dafür auf Platz 15 oder schlechter klassiert, und zweimal musste er sich über die Barrage retten, vor zwei Jahren gar in der Nachspielzeit und Verlängerung. Abgestiegen ist er trotzdem nie, in all den Jahren seit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 nicht. Alle anderen 17 Teams von damals hat es seither mindestens einmal erwischt.
Djourous Fall
Die fussballverrückte deutsche Republik war sich wiederholt einig: Jetzt wird es den Dinosaurier treffen. Aber Ali, unser Taxifahrer, sitzt auf seinem Tribünenplatz und flucht: «Der HSV schafft es ja nicht einmal, abzusteigen, sonst könnten wir wenigstens irgendwann einen Aufstieg feiern.»
Vielleicht ist es ja diesmal so weit. Abstiegsangst jedenfalls herrscht auch in diesem Frühling wieder in Hamburg. Bevor am Sonntag das Duell mit Mainz ansteht, ist der HSV Sechzehnter, mit der Bürde einer miserablen Tordifferenz, Mainz ist Vierzehnter – es ist ein nächstes Schicksalsspiel, für beide. Und der HSV hat in der Not reagiert und Johan Djourou, bis im November während eineinhalb Jahren Captain, für den Rest der Saison suspendiert. Trainer Markus Gisdol und Sportchef Jens Todt soll die demonstrativ gute Laune des ohnehin seit Wochen überzähligen Schweizers missfallen haben. Dessen vier Jahre in Hamburg gehen unrühmlich zu Ende.
Ältere Semester werden sich erinnern: Der HSV war einmal eine gute Adresse im deutschen Fussball, ja: im europäischen. Mit sechs Meistertiteln zwischen 1923 und 1983, den Triumphen im Cup der Cupsieger 1977 und im Meistercup 1983. Uwe Seeler, Horst Hrubesch, Manfred Kaltz, am Ende seiner Karriere auch Franz Beckenbauer – manch grosser deutscher Fussballer verlieh dem HSV Glanz und profitierte gleichzeitig vom Nimbus der Raute. Kevin Keagan war als Spieler die «mighty mouse», 1978 und 1979 Europas Fussballer des Jahres, und Günter Netzer war der Manager, der den grossen Ernst Happel als Trainer nach Hamburg holte. Kein Wunder, ist die Fangemeinde des Clubs gross.
Nur ist der Club auch anfällig auf Einflüsse von aussen. Die Hektik in Hamburg ist vergleichbar mit der in anderen Medienstädten, «aber sie ist keine Erklärung für die sportliche Situation – das belegt der Erfolg von Köln oder Hertha Berlin. Aber Einigkeit und Geschlossenheit sind unerlässlich», sagt einer, der das komplizierte Hamburg erfahren hat: Peter Knäbel. Einst lange Jahre Technischer Direktor des Schweizerischen Fussballverbandes, erlag er im Herbst 2014 dem Ruf aus der Hansestadt. Er wurde Sportdirektor und war für zwei Spiele Trainer. Nach anderthalb Jahren kam es zur Trennung. Das ist jetzt ein Jahr her.
Unter Knäbel hatten die Hamburger wenigstens einen kleinen Sprung vorwärts gemacht. Trotzdem schwelte im letzten Frühsommer wieder einmal ein Machtkampf an der Clubspitze: Knäbel und Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer waren sich uneins über die Zukunftsausrichtung nach der halbwegs erfolgreichen Saison. Knäbel und Trainer Bruno Labbadia wollten die Defensive und mit Routine die neu gewonnene Sicherheit stärken, Beiersdorfer träumte vom jugendlichen Spektakel. Noch vor dem Saisonende setzte er Knäbel ab und übernahm dessen Amt gleich selbst. Er bemängelte «eine Stagnation in verschiedenen Bereichen» und präsentierte sich grosszügig als «Dauerlösung».
1:2, 1:2, 0:4 – Rückfälle mit Folgen
Angesichts der katastrophalen Hinrunde musste erst Labbadia gehen, der vom Machtkampf mit der Führung ebenfalls zermürbt und erschöpft war, ehe an Weihnachten 2016 auch Beiersdorfer selbst nur noch Teil der Geschichte des HSV war und nicht mehr dessen Zukunft. Die Arbeit begann von vorne. Markus Gisdol war der Mann, der es als Trainer richten sollte, und auf den selbstgefälligen Beiersdorfer an der Vereinsspitze folgte der unaufgeregte Heribert Bruchhagen.
Und siehe da: Zwar verlor der HSV weiterhin, und das 0:8 bei den Bayern Ende Februar war der Tiefpunkt und für den Dino nichts weniger als die höchste Niederlage in der Bundesliga-Geschichte – aber er gewann danach sogar öfter, als dass er verlor, immerhin vier von sechs Spielen, gegen Hertha, Mönchengladbach, Köln und Hoffenheim. Und Peter Knäbel dachte als Beobachter aus der Ferne: «Diese Erfolge zeigen das Potenzial dieses Teams.»
Nur kamen dann das Nordderby beim formstarken Bremen, das Heimspiel gegen das in der Tabelle abgeschlagene Darmstadt und der Match beim mitgefährdeten Augsburg. Und die Resultate hiessen 1:2, 1:2 und sogar 0:4.
Die «Hamburger Morgenpost» hatte schon nach dem Darmstadt-Debakel geschrieben: «Zurück im tiefsten Schlamassel.» Man kann es also ganz gut auch mit dem amerikanischen Komiker Bill Murray halten, um den HSV zu umschreiben: «Und täglich grüsst das Murmeltier.»
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