Streit um RechtsextremeWer führt eigentlich die AfD?
Ein Funktionär will Flüchtlinge «vergasen», Landtagsfraktionen lösen sich auf, die Chefs bekämpfen sich: Die Alternative für Deutschland zerlegt sich gerade selbst.

Die Alternative für Deutschland (AfD) war immer ein «gäriger Haufen», wie ihr Übervater Alexander Gauland einst sagte: Chefs hielten sich nicht lange, um die Posten an der Spitze wurde brutal gekämpft, um die Richtung – wie extrem darf es denn sein? – auch. Aber so chaotisch wie jetzt wirkte die Partei seit ihrer Gründung 2013 noch nie.
Letzte Woche erschütterten Aussagen des langjährigen Sprechers Christian Lüth Öffentlichkeit und Partei. Lüth wurde mit versteckter Kamera gefilmt, wie er einer Bloggerin Ungeheuerlichkeiten erzählte: Der AfD gehe es nur prächtig, wenn es Deutschland schlecht gehe, so Lüth, deswegen wäre es auch gut, wenn wieder mehr Flüchtlinge kämen: Nach der Machtübernahme könne man diese dann immer noch «erschiessen» oder «vergasen»: «Mir egal.»
Die angeblichen Richtungskämpfe zwischen «Gemässigten» und «Radikalen» sind oft nur Staffage.
Die AfD entliess den bereits wegen eines Faschismusbekenntnisses beurlaubten Lüth fristlos, dennoch gab es auch intern scharfe Kritik. Lüths rechtsextreme Ansichten waren offenbar schon länger bekannt, ebenso, dass er wegen körperlicher Angriffe mehrmals angezeigt wurde und mehr als einmal den Hitlergruss gezeigt haben soll. Lüth konnte sich halten, weil Gauland bis zuletzt seine schützende Hand über ihn hielt – der Sprecher war einer seiner engen Vertrauten.
In Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben sich vor kurzem zwei Landtagsfraktionen der Partei aufgelöst. Mehrere «gemässigte» Mitglieder verliessen die Parlamentsgruppen, sodass die Verbleibenden den Status und die damit verbundenen Rechte als Fraktion verloren. Auch in Berlin und in Bremen kämpfen AfD-Abgeordnete offen gegeneinander. Die Beteiligten geben sich in der Regel Mühe, ihre Konflikte als Richtungsstreit zwischen «Gemässigten» und dem rechtsradikalen «Flügel» darzustellen. Hinter den Kulissen geht es oft nur um Ego, Macht und Geld.
«Egozentriker und Pseudopatrioten»
Gerade beklagte sich der langjährige Landeschef von Rheinland-Pfalz in einem Brandbrief an die Spitze darüber. Die AfD, so schrieb Uwe Junge, ein früherer Oberstleutnant der Bundeswehr, bewege sich «schulterklopfend auf den Abgrund zu». Immer mehr Landesverbände zerbrächen an Eifersüchteleien, statt Politik zu machen, werde Hass geschürt. Die Partei sei zu einem «Sammelbecken von Egozentrikern und Pseudopatrioten» verkommen, die nur noch um Posten kämpften – wie in jeder anderen Partei auch. Es sei ein Problem der Führung, fügte Junge noch an. Und forderte Gauland und Alice Weidel offen zum Rücktritt als Chefs der Bundestagsfraktion auf.

Wer die AfD dieser Tage überhaupt noch führt, ist eine berechtigte Frage. Als Parteichef Jörg Meuthen es im Mai überraschend wagte, den «Flügel»-Strippenzieher Andreas Kalbitz aus der Partei zu drängen, schien es einen Moment lang, wie wenn Meuthen nun den Ton angeben würde. Doch damit ist es bereits wieder vorbei.
In einem Brief an die 30’000 AfD-Mitglieder teilte Meuthen gerade mit, dass er 2021 nicht für den Bundestag kandidieren werde, sondern lieber im EU-Parlament in Brüssel bleibe. Meuthen wollte eigentlich Spitzenkandidat werden, seine Kapitulation kam überraschend. Am Ende scheute er den Wettstreit gegen Weidel in seinem Heimatverband Baden-Württemberg. Im Streit um Kalbitz hatte Meuthen stets behauptet, seine Meinung sei auch die der Mehrheit in der Partei. In eigener Sache traute er dieser Behauptung nun erheblich weniger.

Die AfD-Spitze ist spätestens seit dem Streit um Kalbitz gespalten – mit Meuthen auf der einen sowie Gauland, Weidel und Co-Chef Tino Chrupalla auf der anderen Seite. Kein Lager ist stark genug, eine Entscheidung herbeizuführen. Die Partei ist blockiert.
Die ewigen Streitereien schrecken mittlerweile auch Wähler ab. In den Umfragen ist die Partei teilweise unter die 10-Prozent-Marke gerutscht. Im Osten hat sie innert eines Jahres ein Viertel ihrer Anhänger verloren. Da die Flüchtlingsfrage nicht mehr zieht, versuchte die AfD zuletzt mit Protesten gegen die Corona-Politik Stimmen zu fangen und Angst vor einer Wirtschaftskrise zu schüren. Beides zahlte sich bisher nicht aus.

Wie wenig Personalwechsel meist an den tieferliegenden Widersprüchen der Partei ändern, zeigt die AfD derweil in Brandenburg. Nach dem Ausschluss des früheren Landesvorsitzenden Kalbitz kämpfen zwei Politiker um den Fraktionsvorsitz, die eines verbindet: Sie halten mindestens so viel Kontakt zu Rechtsextremen und Neonazis wie ihr gestürzter Vorgänger. Gerade hat ein ehemaliger Mitgründer der Partei aus Vorkommnissen wie diesem Konsequenzen gezogen: Der frühere Publizist Konrad Adam kündigte an, die AfD zu verlassen. Die Partei habe ihre Zukunft als «bürgerlich-konservative Kraft» verwirkt.
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