Wenn Verlierer überzeugen
Die verpassten Chancen hängen wie ein Fluch über den Köpfen der Spieler und Trainer Vladimir Petkovic. Dennoch können die Schweizer den Gang in die Barrage mit breiter Brust antreten.

Lichterlöschen für die Schweizer im Estadio da Luz von Lissabon. Im zehnten und letzten Gruppenspiel ist der Traum von der direkten WM-Qualifikation doch noch geplatzt. Nach neun Siegen in den ersten neun Spielen ist der Gang in die beiden Playoff-Spiele Anfang November ein undankbarer, ein mieser Lohn für eine Mannschaft, die in den letzten Monaten das Feuer der Begeisterung im Land wieder neu entfacht hat.
Wer in der Stunde der Enttäuschung die Emotionen aussen vor lässt und nüchtern das grosse Bild der Schweizer Nationalelf betrachtet, grämt sich aber nur kurz. Natürlich: Die Mannschaft ist im entscheidenden Moment schon wieder an einem höher dotierten Gegner gescheitert, der mit etwas mehr Qualität wohl zu packen gewesen wäre. Wie die Argentinier 2014 im WM-Achtelfinal in Brasilien; wie die Polen 2016 im EM-Achtelfinal in Frankreich. Diese verpassten Chancen hängen mittlerweile wie ein Fluch über den Köpfen der Spieler und Trainer Vladimir Petkovic. Dennoch können die Schweizer den Gang in die Barrage mit breiter Brust antreten.
Um den Werdegang dieser Auswahl ganz exakt einzuordnen, braucht es mehr als einen flüchtigen Blick auf die zehn Qualifikationsspiele. Die einschneidende Entwicklung begann im Vorfeld der Europameisterschaft 2016. Im Umfeld des Teams grummelte es, es gab Debatten über die Identität dieses kunterbunten Haufens, dessen Leistungsträger vorwiegend einen Migrationshintergrund haben.
Besser als Kuhn und Hitzfeld
In der Kritik stand Trainer Vladimir Petkovic, weil Anfang 2016 die Resultate ausblieben und seine Spieler lustlos ihr Pensum abspulten. Doch dem 54-jährigen Tessiner gelang etwas, was seine Vorgänger Köbi Kuhn und Ottmar Hitzfeld gar nicht oder nur teilweise fertigbrachten: eine famose Steigerung während eines grosses Turniers. Diese begann im Trainingslager im Tessin, als er die Gruppe vereinte und ihr die Sinne für das Wesentliche schärfte.
Während des Turniers in Frankreich wurde Petkovic jener grosse, starke und selbstbewusste Petkovic, der er heute ist. Er verbindet Lockerheit mit seriöser Arbeit; in der Kommunikation braucht er die feinen Zwischentöne und im Umgang mit den Spielern hat er ein feines Händchen. Ja, an der EM 2016 wurde Petkovic als Trainer derart erwachsen, dass man festhalten kann: Er ist – nicht nur statistisch gesehen – besser als Köbi Kuhn und besser als der hochdekorierte Ottmar Hitzfeld.
Die grosse Kunst eines Trainers ist es ja, dass er seine Spieler, die nur ihre Karriere im Kopf haben, hinter sich bringt, ohne dass er dabei Kompromisse eingehen muss. Nur die ganz Grossen ihres Fachs schaffen das seit Jahren: Jürgen Klopp, José Mourinho, mit Abstrichen Pep Guardiola, Zinédine Zidane, früher auch Ottmar Hitzfeld.
Petkovic hat den Sprung nun geschafft, weshalb es für dieses Team momentan keinen besseren Trainer gibt. Das Miteinander dieses Gefüges, der gute Geist, der die Mannschaft beseelt: Er ist noch besser als an der WM 2006 unter Kuhn. Die Qualität der Spieler ist mit Sicherheit so gross wie 1994, als es unter Roy Hodgson zu manchem Höhenflug reichte.
Petkovic hat eine Stammelf gefunden, die seit eineinhalb Jahren überzeugt. Die Mischung ist beinahe perfekt. Die routinierten Kräfte Lichtsteiner und Behrami geben den Ton an, sie werden assistiert von loyalen Teamstützen wie Sommer, Schär, Rodriguez, Seferovic oder Mehmedi, die ihre besten Jahre noch vor sich haben. Dahinter wartet ein Strauss an Talenten auf seine Chance: Elvedi, Akanji, Widmer, Freuler, Edimilson Fernandes, Zuber, in Zukunft vielleicht auch Dimitri Oberlin und Albian Ajeti vom FC Basel.
Die funkelndsten Brillanten im Collier des Trainers sind Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka, die Leader der Zukunft, voll im Saft, überdurchschnittlich talentiert, ehrgeizig, aber klug genug, die bestehenden Hierarchien sorgfältig zu wahren. Shaqiri und Xhaka waren einst Jahrzehnte-Talente beim FCB. Nun sind sie Jahrzehnte-Nationalspieler. Gerade an ihnen wird es liegen, dass die Schweizer die Playoff-Spiele nicht als Bestrafung, sondern als Chance begreifen. Schaffen sie das via diesen nervenaufreibenden Umweg, haben sie ihr Ticket für die WM in Russland redlich verdient.
Und dort wartet sicher die nächste Chance, einen Grossen hinter sich zu lassen. Das darf man diesem Team mit seiner heiteren Ausstrahlung und ihrem smarten Trainer ruhig zutrauen. Trotz der Enttäuschung von Lissabon.
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