Wenn politischer Anstand fehlt
Thomas Matter bezeichnete Tamara Funiciello als «Michelin-Männchen». Auch andere Politiker benehmen sich gerne mal daneben.

SVP-Nationalrat Thomas Matter hat kürzlich die Präsidentin der Jungsozialisten Schweiz als «Michelin-Männchen» bezeichnet. Dabei hat er gleich mehrere rote Linien überschritten: die des Anstandes, die des Stils und auch die Grenze zwischen intelligentem und dummem Verhalten. Es ist unangebracht, sich über das Aussehen oder den Namen eines Menschen lustig zu machen.
Der politische Anstand ist weder eine leere Floskel noch ein neuer Begriff. Er war und ist wesentliches Element der Demokratie nach unserem schweizerischen Verständnis. Politischer Anstand gehört hier sowohl zum Alltag im Parlament als auch zum Austausch der Meinungen mit dem politischen Gegner, nicht nur vor Wahlen oder Abstimmungen. Eine banale Erkenntnis: Der politische Gegner gehört zu unserem politischen System. Das zeigt sich am Beispiel der Institution Referendum.
Auf der einen Seite die Mehrheitsmeinung des Parlaments, auf der anderen Seite die Gegnerschaft dieses Beschlusses, die versucht, das Volk für ihre Anliegen zu gewinnen. Wo der politische Gegner fehlt, herrscht eine Einheitspartei. In einem Staat, dessen Regierung und dessen Parlament aus Vertretern mehrerer Parteien zusammengesetzt sind, gibt es nicht nur einen einzigen politischen Gegner, es kann mehrere geben und es sind nicht immer die gleichen Parteien, deren Meinungen differieren. Es gibt wechselnde Allianzen mit wechselnden Mehr- und Minderheiten.
Es geht auch um Respekt gegenüber Andersdenkenden und deren Wählerschaft.
Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben die Aufgabe, ihre Wählerschaft zu vertreten und konstruktiv Lösungen zu finden. Konstruktive Arbeit erfordert Kompromisse. Mit anderen Parteien Allianzen zu bilden, bedingt anständigen Umgang miteinander. Es geht auch um Respekt gegenüber Andersdenkenden und deren Wählerschaft.
Das Lächerlichmachen, das Verhöhnen einer politischen Gegnerin, wie es Nationalrat Thomas Matter angelastet werden muss, ist undiskutabel verwerflich. Ebenso zeugten seinerzeit die Jubelschreie und -gesten aus dem politischen linken Lager nach der Nichtwiederwahl von Bundesrat Blocher von fehlendem Anstand und Taktgefühl, das war übles Nachtreten. Der politische Anstand fehlte auch den Parlamentsmitgliedern, die während der Abschiedsrede von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf demonstrativ anderes taten als zuzuhören.
Auch die Beifallskundgebungen der politischen Linken im Basler Grossen Rat nach gewonnenen Abstimmungen zeugen nicht von Fairness und Respekt gegenüber den Unterlegenen. Völlig fehl am Platz sind vermeintlich lustige Sprüche oder Wortspiele gegenüber SVP-Präsident Albert Rösti wegen seines Namens. Diese Liste ist leider nicht abschliessend.
Es ist zu hoffen, dass der Fauxpas von Nationalrat Thomas Matter Politikerinnen und Politikern Anlass gibt, über respektvollen Umgang miteinander nachzudenken und den politischen Anstand ins eigene Reden und Handeln zu integrieren. Für viele ist das nicht nötig, weil sie sich korrekt verhalten. Vielleicht kann sich Thomas Matter sogar durchringen, sich bei seinem Verhöhnungsopfer zu entschuldigen?
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