Wenn der Sattel die Manneskraft lähmt
Medizinische Testreihen zeigen eine verminderte Durchblutung im Genitalbereich nach dem Radfahren. Die richtige Sattelwahl kann das Problem verringern.

Die Reproduktionsrate von Radfahrern wurde meines Wissens bis dato noch in keiner wissenschaftlichen Studie untersucht. Und doch geistert in der Fahrradszene seit Jahren die Aussage herum, dass Radfahren impotent machen könne. Die gute Nachricht vorweg: Niemand braucht um seine Manneskraft (oder die seines Partners) zu bangen.
Testreihen von Medizinern zeigen jedoch, dass bereits nach einer halben Stunde auf dem Velosattel die Durchblutung im Genitalbereich um bis zu 70 Prozent abnehmen kann. Mit der Folge, dass der Sauerstoffdruck sinkt. Die Ärzte konnten daraufhin erst nach etwa 15 Minuten wieder einer komplette Durchblutung in den Genitalien messen.
Nach Radrennen durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass viele Fahrer nach einer langen Zeit auf dem Sattel unter Taubheitsgefühlen und Erektionsunfähigkeit leiden. Meist waren die Symptome aber nach ein paar Tagen wieder verschwunden, sehr selten hielten Beschwerden über Monate an. Insbesondere Hobby-Sportler brauchen sich jedoch nicht zu sorgen: Nur wer in der Woche mehrere hundert Kilometer fährt und das über Jahre, muss dauerhafte Schädigungen befürchten.
Das taube Gefühl nach der Radtour
Aufstehen hilft: Biker auf den Beinen.Was hat es mit der Taubheit auf sich? Im Dammbereich kommen Nerven und Arterien des Penis zusammen – genau da also, wo auch der grösste Druck auftritt: Durch das Gewicht des Fahrers (und des Rucksacks) werden Blutgefässe abgedrückt und die Schwellkörper gequetscht. Die Folge: Wenn man nach der Tour vom Bike steigt, dann herrscht erst einmal «tote Hose», bis die Blutgefässe wieder ordentlich durchblutet sind. Zusätzlich kann der Nerv, der für die Erektion wichtig ist, durch die Vorwärtsneigung des Oberkörpers gegen den Schambeinknochen gedrückt werden. Dr. Frank Sommers Animation zur Knochenstellung auf dem Sattel zeigt, wo die Druckstellen entstehen können.
Im Jahr 2008 haben Sexualmediziner in einer wissenschaftlichen Studie 90 amerikanische Fahrradpolizisten untersucht. Die Studie zeigt, dass mit dem herkömmlichen Herrensattel mit langer schmaler Sattelspitze nur 27 Prozent der Probanden nie Taubheit nach einer Tour zu beklagen hatten. Der Grossteil hatte also meist oder immer wieder eine gewisse Taubheit im Genitalbereich. Nachdem zum Ende der sechs Monate dauernden Studie die Polizisten auf nasenlose Sättel umgestiegen waren, stieg die Zahl der Probanden, die nie Taubheit beklagten, auf 82 Prozent.
Mit einem breiten Sattel auf dem richtigen Weg
Die meisten Ärzte beruhigen: Grundsätzlich macht Radfahren nicht impotent. Die richtige Sattelwahl kann bereits die Lösung für das Problem der temporären Taubheit sein. Besonders bei Leistungssportlern ist die Wahl wichtig, da sie so viel Zeit im Sattel verbringen. Je schlechter der Sattel an die anatomischen Gegebenheiten des Fahrers angepasst ist, desto grösser wird das Risiko, dass Blutgefässe und Nerven abgeschnürt werden. Sportmediziner raten deshalb zu einem breiten Sattel, der die Sitzbeinhöcker des Gesässes unterstützt. Dadurch wird der Genitalbereich gewichtstechnisch entlastet. Denn ist der Sattel zu schmal, rutscht man automatisch weiter vor und verlagert das Gewicht auf den Genitalbereich, um einen besseren Halt zu erreichen.
Eine Wissenschaft für sich – die Abstimmung des Sattels auf den menschlichen Körper.Den Sattel zu wechseln ist deshalb die bessere Strategie, als das Mountainbike in die Ecke zu stellen. Eine weitere Studie zeigt nämlich, dass Männer, die pro Woche 4000 Kilokalorien für Bewegung aller Art verbrennen, ihr Risiko, irgendwann Erektionsstörungen zu bekommen, sogar um nahezu 83 Prozent reduzieren.
Erleichterung für den Genitalbereich – die Tipps
Ein gut auf den eigenen Körper abgestimmter Sattel bringt in jedem Fall Entlastung. Dabei gilt: Nicht die Art der Polsterung ist entscheidend, sondern die Breite der Sitzfläche. Es gibt ergonomisch geformte Satteltypen mit einer so genannten Entlastungszone, bei der eine Aussparung im Genitalbereich für Erleichterung sorgen soll. Die Höhe des Sattels sollte ideal auf die eigenen Körperproportionen abgestimmt sein. Manchmal hilft auch eine Erhöhung des Lenkers, weil damit die schlechteste Sitzposition (Oberkörper im 30-Grad-Winkel) vermieden werden kann. Die entspannte «Freeride-Position» ist für die Durchblutung generell günstiger als die gestreckte Renn-Position. Es ist wichtig, dass man die eigene Sitzposition und Oberkörperhaltung zwischendurch verändert und regelmässig im Wiegetritt fährt, um den Dammbereich zu entlasten. Zu guter Letzt sollte man immer eine gepolstere Fahrradhose tragen und auch darauf achten, dass der Rucksack nicht zu schwer beladen ist.
Dieser Artikel wurde erstmals am 31. Mai 2012 publiziert und am 15. Mai 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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