Leser fragen Peter SchneiderWelchen Sinn hat es, über ein Verhüllungsverbot abzustimmen?
Keinen, findet unser Kolumnist. Die Demokratie werde lediglich dazu benutzt, ein Gaudi zu veranstalten.

Nun stimmen wir über das Verhüllungsverbot ab. Was ergibt das für einen Sinn? Egal, ob man nun aus politischen Gründen für oder gegen ein Verhüllungsverbot ist – weil ein Gesichtsschleier ein Symbol der Unterdrückung der Frau darstellt oder ob man der Ansicht ist, dass Verbote nichts bringen –, die Realität hat die Debatte um die Gesichtsverhüllung in Form von Covid-19 doch längst ad absurdum geführt. Oder wie sehen sie das? N. W.
Lieber Herr W.
Ich sehe das anders. Allerdings nicht, weil ich diese Abstimmung im Gegensatz zu Ihnen für sinnvoll halte, sondern weil ich alles Argumentieren in dieser Angelegenheit für sinnlos halte. Ginge es nicht um antimuslimische Ressentiments, gäbe es diese Abstimmung so wenig, wie es eine Abstimmung über ein Verbot von High Heels gibt. (Die Frauen tragen sie doch freiwillig. Nein, Sie werden von einem frauenverachtenden Modediktat dazu gezwungen. Werden sie nicht. Werden sie doch. Werden sie? Diskutieren Sie mit. Ihre Meinung interessiert uns.)
Über Verschleierung in Saudiarabien und im Iran zu diskutieren, wäre sinnvoll. Aber in der Schweiz bei der bekannten Zahl der bislang in den Kantonen St. Gallen und Tessin gebüssten Touristinnen und störrischen Konvertitinnen ist so absurd wie einst die Debatte über Minarette.
Wenn es schon keine Mehrheit gegen Waffenexporte in arabische Diktaturen gibt, dann piesacken wir die Scheichs eben mit einem Nikab-Verbot in der Schweiz. Wenn die Initiative angenommen wird (was im Augenblick zu befürchten scheint), dann nicht, weil sie ein starkes Signal bedeutet oder irgendetwas bewirkt, sondern deshalb, weil sie eine starke Meinungsäusserung mit null Effekt verbindet.
Wir sind halt ein lustiges Völklein, das bei allem Ernst der sonstigen Lage immer wieder mal für ein Abstimmungsscherzlein zu haben ist.
Was kann man mehr wollen? Das Schädliche an dieser Initiative ist nicht vor allem ihr Ergebnis (wenn sie denn angenommen wird), sondern die Tatsache, dass sie zustande gekommen ist. Schädlich nämlich für die direkte Demokratie, die in diesem Fall lediglich dazu benutzt wird, ein Gaudi zu veranstalten. Wobei es Teil dieser Gaudi ist, dass sie ernsthafte Leute dazu bringt, sich mit einem solchen Haberchäs ernsthaft zu beschäftigen.
Sie wird als eine der Kuriositäten der Schweizer Demokratie in die Geschichte eingehen, um die uns die AfD beneidet und die viele andere belächeln: Wir sind halt ein lustiges Völklein, das bei allem Ernst der sonstigen Lage immer wieder mal für ein Abstimmungsscherzlein zu haben ist. Das Egerkinger Fasnachtskomitee kann stolz auf sich sein (gleich wie die Abstimmung ausgeht), es geschafft zu haben, dass die Öffentlichkeit über das Stöckchen gehüpft ist, das die Initianten ihr hingehalten hat.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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