Was weiss Böhmermann?
Der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann kannte das Strache-Video schon seit Wochen. War er sogar an seiner Herstellung beteiligt?

Der 38-jährige Jan Böhmermann ist als grosser Manipulator berühmt geworden. 2016 führte er in seiner ZDF-Sendung «Neo Magazin Royale» auf gleichermassen drastische wie ironische Weise vor, wie man in Deutschland den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf keinen Fall beleidigen dürfe – und stürzte Deutschland und die Türkei damit in eine monatelange diplomatische Krise.
Ein Jahr zuvor hatte Böhmermann bereits Medien und Öffentlichkeit zum Narren gehalten, als er behauptete, dem ARD-Talker Günter Jauch einen gefälschten «Stinkefinger» des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis untergeschoben zu haben – bis er zugab, sein Fake selbst kunstvoll gefälscht zu haben. Für die hintersinnige Aktion erhielt Böhmermann den wichtigsten deutschen TV-Preis.
Kryptische Dankesrede
Und nun? Hatte der TV-Künstler auch beim heimlich gedrehten Video die Hände im Spiel, das den österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu Fall brachte und danach auch die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz wegfegte? Den Verdacht schürten zwei Hinweise, die Böhmermann selbst in den letzten Wochen sorgsam platzierte.
Am 19. April, also fast einen Monat vor der Veröffentlichung des Strache-Videos, teilte Böhmermann in einer Videobotschaft für den österreichischen Filmpreis Romy mit, er könne den Preis leider nicht selber entgegennehmen, da er «gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchen-Villa auf Ibiza rumhänge» und bespreche, wie er die «Kronen-Zeitung» übernehmen könne. Die Zuschauer, sofern sie sich überhaupt einen Reim auf den Spruch machen konnten, hielten ihn damals wohl einfach für eine seiner üblichen Frechheiten. Jedenfalls wurde gleich Kritik laut, Böhmermann habe die österreichische Regierung herabgewürdigt. Dass es sich um eine verblüffend präzise Vorschau auf ein kommendes Ereignis handelte, konnte damals niemand wissen. Einen Tag vor der Strache-Enthüllung sagte Böhmermann in einem Video dann, es könne sein, «dass morgen Österreich brennt». Und tags darauf brannte Österreich.
Der Manager des Satirikers bestätigte später, dass Böhmermann den Inhalt des Strache-Videos tatsächlich vorab gekannt habe. Allerdings sei es ihm, anders als teilweise behauptet, nicht zur Veröffentlichung angeboten worden – entsprechend habe er auch dessen Publikation nicht ablehnen können. Böhmermanns Sender, das ZDF, wiederum versicherte, dass ihr Künstler oder dessen Produktionsfirma nichts mit der Herstellung des Videos zu tun gehabt habe.
Stark in österreichische Politik eingemischt
Wer der Böhmermann-Spur folgt, dem fällt jedenfalls gleich auf, dass sich der deutsche Künstler in den vergangenen Monaten ungewöhnlich stark in die österreichische Politik einmischte. Heftig polemisierte er vor allem gegen Strache, den er unverblümt einen früheren «Neonazi» nennt, und gegen Kurz, der die «Faschisten» der FPÖ in die Regierung geholt habe und zu ihren Exzessen schweige. Böhmermann erklärte sein Engagement als eine Art «kulturelle Entwicklungshilfe»: Im Unterschied zu Deutschland seien in Österreich diejenigen nicht salonfähig, welche die Faschisten nicht für salonfähig hielten. Dagegen wolle er den Widerstand stärken.
Anfang Mai eröffnete Böhmermann im Grazer Künstlerhaus eine Ausstellung, mit der er dem aus seiner Sicht quasi-faschistischen Österreich den Spiegel vorhält. Schon am Eingang steht zu lesen: «österreich – nie vom faschismus geheilter blinddarm grossdeutschlands». Herzstück der Ausstellung ist eine Installation namens «Wehrsport 1989»: Sie zeigt eine Schaufensterpuppe in Uniform, die offensichtlich ein Foto des jungen Strache nachstellt, das diesen als maskierten und bewaffneten Neonazi zeigt. Neben der Figur baumeln zwei österreichische Verfassungen von der Decke. An der Wand steht ein Baseballschläger mit einer Kette, die allerdings zu kurz ist, um die Puppe zu treffen. Ihr die Verfassung um die Ohren zu schlagen, das geht hingegen.
In einer Instagram-Story zur Ausstellung drohte Böhmermann Strache sogar selber mit Gewalt: «Servus, Herr Vizekanzler. Kommens mich doch mal besuchen in Graz, ich wart auf Sie», sagt der Satiriker in die Kamera, ehe er zum Baseballschläger greift und ausholt. Dann bricht das Video ab. Bei einem Konzert in Wien hatte Böhmermann bereits im Februar ein Schmählied über einen rechtspopulistischen deutschen Polizeigewerkschafter auf den FPÖ-Innenminister Herbert Kickl umgedichtet.
In Interviews in österreichischen Medien griff Böhmermann Strache und Kurz in den vergangenen Wochen frontal an: Faschismus sei keine Meinung, Identitätspolitik keine Entschuldigung für Rassismus. Dem «Standard» erklärte er, er würde sich nie so weit aus dem Fenster lehnen und den österreichischen «Kinderkanzler» als «Klemmfaschisten» bezeichnen. «Aber fragen Sie mich das, wenn Sie wollen.»
«32-jähriger Versicherungsvertreter mit viel Haargel»
Im ORF sagte Böhmermann, es sei «nicht normal, dass das Land von einem 32-jährigen Versicherungsvertreter mit viel Haargel» geführt werde. «Haben Sie keinen Besseren?» In Anlehnung an den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard, der einst seine Landsleute als «sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige» bezeichnet hatte, sagte er: «Das Rad der Zeit hat sich ja weitergedreht: Jetzt sind es schon acht Millionen Debile.» Österreich hat 8,8 Millionen Einwohner.
Der ORF, der seit Monaten von der FPÖ politisch bedrängt wird, distanzierte sich von Böhmermanns Sätzen mit den Worten, es handele sich um Satire, die man als solche zwar ausstrahle, deren Aussagen man aber nicht teile. Gegen die Entschuldigung protestierten wiederum prominente Schriftstellerinnen rund um die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Ein bekannter Wiener Anwalt dagegen kündigte eine Klage gegen Böhmermann an und wollte diesen amtlich für ein psychiatrisches Gutachten einbestellen, um seine Prozessfähigkeit zu beurteilen.
Strache selbst, so viel ist nach den Attacken gegen ihn bekannt und verbürgt, hält Böhmermann für einen Feind und politischen Attentäter. In seiner Rücktrittsrede vom vergangenen Sonntag nannte er ihn ausdrücklich als eine jener Personen, die ihm allenfalls mit dem Video hätten schaden wollen.
Bis anhin deutet nichts darauf hin, dass Böhmermann mit dessen Herstellung etwas zu tun hatte. Recherchen österreichischer Medien legen vielmehr nahe, dass ein Wiener Anwalt und ein Münchner Detektiv und Sicherheitsberater entscheidende Rollen spielten. Böhmermann wiederum nutzte sein Vorwissen optimal – als medialer und politischer Trittbrettfahrer. Diesem Zweck diente offenbar auch ein mysteriöser Countdown, mit dem der Satiriker auf ein «Special» seiner Sendung heute Abend hinwies. Es entpuppte sich nicht als Enthüllung über seine Rolle in der Strache-Affäre, sondern als Liedchen einiger TV-Comedians für ein gemeinsames Europa. Das Interesse daran liess sogar die dafür vorgesehene Homepage fürs Erste zusammenbrechen.
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