Was Wahrheit ist
Das Journalistendrama «The Post» bietet grosses Hollywood-Kino.

Wenn es um den Fall von US-Präsident Richard Nixon geht, erinnern sich die meisten heute nur noch an die Abhöraffäre Watergate 1972. In Wirklichkeit gab es bereits im Jahr zuvor einen Skandal, der dem Ansehen des Präsidenten massiv geschadet hat. Im Zentrum standen die Pentagon-Papiere, geheime Dokumente, in denen die Regierung glasklar einsah, dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen sei, man aber öffentlich das Gegenteil erklären würde.
Ein ebenso sentimentales wie kämpferisches Filmdrama erzählt die wahre Geschichte der Veröffentlichung dieser Papiere nach. Regisseur Steven Spielberg hat dafür ein bis in kleinste Rollen exzellent besetztes Ensemble rund um Meryl Streep und Tom Hanks versammelt.
Die beiden Superstars spielen Katharine Graham, eine Witwe, die 1963 nach dem Selbstmord ihres Mannes dessen Verlag und damit die etwas in die Jahre gekommene Washington Post geerbt hat, und deren Chefredaktor Ben Bradlee. In der Männerwelt der 60er- und 70er-Jahre wird Graham eher als Ausrichterin netter Dinnerabende mit hochrangigen Politikern belächelt, als dass man sie als Verlegerin ernst genommen hätte.
Als ihrem Reporter Ben Bagdikian aber mehrere tausend Seiten mit Regierungsberichten über den Krieg zugespielt werden, muss sie sich entscheiden, ob sie dem Vorbild der New York Times folgt, die Berichte druckt – und so das Schicksal ihres Verlags aufs Spiel setzt. Streep und Hanks, die zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera stehen, strahlen grosse Natürlichkeit aus. Schon bei einem gemeinsamen Mittagessen zu Beginn wird deutlich, wie vertraut ihre Figuren einander bei aller Professionalität sind.
Bewusst aktuell
In den besten Momenten gelingt es Spielberg, seine Stars einfach spielen zu lassen. So gehört es zur grossen Stärke des Films, dass er den Moment von Grahams Entscheidung eher als einen rebellischen Akt gegen die Männergarde inszeniert, und nicht als heroisches Aufstehen für die Pressefreiheit. Anders als im Journalismus-Drama «Spotlight» sind in «The Post» Menschen zu sehen, die sich Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzen, ohne genau zu wissen, ob sie das Richtige tun.
Trotz dieser Zurückhaltung ist jederzeit spürbar, wie bewusst allen Beteiligten die aktuelle politische Ebene des Films ist. Natürlich schwingen Donald Trumps Kampf gegen angebliche «Fake-News» und seine Hasskampagnen gegen die Presse in vielen Szenen mit. Spielberg ist der richtige Mann für dieses Unterfangen, schliesslich hat weltweit kein Filmregisseur bei ernsten Themen eine grössere Breitenwirkung als der Mann, der «E.T.» verantwortete, aber auch hinter «Saving Private Ryan» und «Schindlers Liste» steht. Wie wichtig es Spielberg war, ein Zeichen gegen Trump zu setzen, zeigt die turbulente Entstehungsgeschichte des Films: Gerade einmal rund zehn Monate lagen zwischen seiner Entscheidung, das gelungene Erstlingsdrehbuch der bisher unbekannten 31-jährigen Liz Hannah zu verfilmen, und der US-Premiere im Dezember.
Wie so oft, erliegt Spielberg aber auch in «The Post» der Versuchung, die Botschaft überdeutlich ans Publikum zu bringen. Da streichen die Geigen aufgeregt, da hämmert das Klavier, und als schliesslich die Druckerpressen mit den brisanten Ausgaben anlaufen, vibriert der Kinosaal und Spielberg zeigt Journalist Bagdikian, wie er in der Redaktion einige Stockwerke über den Maschinen leicht durchgerüttelt wird. Plakativer wird es zum Glück nicht, eher angenehm nostalgisch. «The Post» ist auch ein kurzweiliger Film, der etwas gemütlich für sein Anliegen wirbt.
Mit zwei Oscar-Nominierungen in der Hauptkategorie und für Meryl Streep ist «The Post» vielleicht nicht das ganz grosse Ansehen zuteil geworden, das angesichts der Besetzung und des Themas möglich gewesen wäre. Trotzdem glückt der Versuch, an eine Zeit zu erinnern, in der es noch einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber gab, was Wahrheit ist. Eine Zeit auch, in der das Aufdecken der Wahrheit dazu geführt hat, dass Politiker tatsächlich zurückgetreten sind.
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