Was die Schweiz aus Tschernobyl lernte
Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren wirkte sich auch in der Eidgenossenschaft aus. Der verheerende Unfall deckte Schwächen auf – und hatte politische Folgen.

Vier Tage nach der Katastrophe erreichte die radioaktive Wolke am 30. April 1986 auch die Schweiz. Am stärksten war das Tessin betroffen, da es dort an diesem Tag regnete. Mit 50'000 Becquerel Caesium 137 wurde dort die schweizweit höchste Konzentration an Radioaktivität gemessen. Die Behörden verboten daraufhin den Fischfang im Luganersee – eine Regelung, die allerdings nicht für den italienischen Teil des Sees galt. Ferner erliessen sie Empfehlungen betreffend Fisch, Milchprodukte und Gemüse für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie Schwangere, stillende Mütter und Kleinkinder. Schafe und Ziegen durften im Tessin bis Ende August nicht geschlachtet werden.
Einige Empfehlungen und Anordnungen waren widersprüchlich und lösten bei der Bevölkerung Panik-Reaktionen aus. So brach der Salat- und Gemüsekonsum zeitweilig ein. Der Bund musste später die Fischer und die Gemüsebauern für den Einnahmeausfall entschädigen.
Schwächen im Informationssysten geortet
Tschernobyl war der erste grosse Ernstfall-Test für die 1984 gegründete Nationale Alarmzentrale (NAZ). Während rund sieben Wochen analysierten Stabsmitarbeiter die Mess-Ergebnisse und informierten die betroffene Bevölkerung. Dabei wurden auch Lücken offensichtlich. Die Behörden mussten in der Folge das Alarm- und Informationssystem ausbauen. Bereits einige Wochen nach Tschernobyl entwarf der Bundesrat ein Programm für die Anpassung der Notfallschutzplanung.
Es umfasste im Wesentlichen den Ausbau der NAZ und die Verbesserung der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen. Ein flächendeckendes Messsystem zur Überwachung der Radioaktivität wurde aufgebaut. Ausserdem wird der Notfallschutz in regelmässigen Übungen erprobt, bei denen ein grosser Atomunfall in der Schweiz simuliert wird.
Noch immer kein nationales Krebsregister
Weitere Massnahmen waren eine umfassende Sicherheits-Überprüfung der Atomkraftwerke sowie die Anlage eines Vorrats von Jod-Tabletten für die Bevölkerung um die Atomkraftwerke. Ausserdem wurden internationale Abkommen über die rasche Information und Hilfeleistung bei Atomunfällen geschlossen.
Noch nicht verwirklicht ist das seit langem geforderte nationale Krebsregister. Bislang erheben erst 14 Kantone die Krebs-Daten. Ende letzten Jahres beauftragte der Bundesrat das Departement des Inneren mit entsprechenden Vorarbeiten.
Auswirkungen auf die Schweizer Energiepolitik
Die Atomkatastrophe in der Ukraine und die wachsende Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Atomkraft hatten auch längerfristige Auswirkungen auf die schweizerische Energiepolitik. Im Jahr 1988 wurde das AKW-Projekt Kaiseraugst endgültig begraben. Und am 23. September 1990 erhielt die Moratoriums-Initiative für einen 10-jährigen AKW-Baustopp an der Urne eine klare Mehrheit – als erstes und bislang einziges atomkritisches Volksbegehren.
Ebenfalls angenommen wurde bei jenem Urnengang der Energie-Artikel, der die «sichere, wirtschaftliche und umweltschonende Energieversorgung» in die Verfassung schrieb. Keine Mehrheit erhielt dagegen die Initiative zum Ausstieg aus der Atomkraft.
SDA/raa
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