Was der Konsum in der Welt anrichtet
Victor Papanek (1923–1998), ein Kritiker der Konsumkultur, war als Lehrer und Ideengeber wichtig. Die Ausstellung «The Politics of Design» im Vitra Design Museum zeichnet seinen Weg nach.

Victor Papanek war ein radikaler Kritiker des Industriedesigns und der Konsumkultur. Von der verführerischen und ästhetisch gelungenen Gestaltung eines Produkts, die ja nicht zuletzt unter kommerziellen Gesichtspunkten ganz attraktiv ist, hielt er nichts. Ihm ging es sowohl um die Funktionalität und den Gebrauchswert eines Objekts als auch um seine sozialen und ökologischen Implikationen. Papanek war ein begnadeter Lehrer, Redner und Buchautor, während er als Designer aber wenig Bleibendes schuf.
Berühmt immerhin wurde sein Gegenentwurf für den Hörfunkempfänger, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in den Industriestaaten im Einsatz war: 1965 stellte er ein Radio her, das jedermann nachbauen konnte. Es war ein Design für die Dritte Welt, das aus zwei Blechdosen bestand. Die eine enthielt den Transistor und den Lautsprecher, die andere konnte mit getrocknetem Kuhmist gefüllt werden, dessen Verbrennung die für den Betrieb des Radios notwendige Energie lieferte. Wem das simple Blechdesign nicht gefiel, der konnte den Dosen ein buntes Kleid häkeln, was der Designer für seine Prototypen auch machen liess.
Papanek, 1923 in Wien geboren, war Jude. Er musste nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland fliehen. 1939 gelangte er in Begleitung seiner Mutter über Grossbritannien nach New York, wo er an der Cooper Union School of Art studierte. Schon sehr bald wurde der junge, von Frank Lloyd Wright beeinflusste Designer ein gefragter Referent, der an vielen amerikanischen Universitäten an der Ost- und der Westküste unterrichtete und für seinen Lebensunterhalt auch ein paar ziemlich konventionelle Designaufträge erledigte.
Der Wanderprediger
Überfliegt man den Lebenslauf des «Vordenkers eines sozialverantwortlichen Designs», wie es Amelie Klein, Kuratorin der Ausstellung in Weil am Rhein, ausdrückt, möchte man ihn fast als Wanderprediger bezeichnen. Papaneks emsige Reisetätigkeit erwies sich aber für seine Karriere und die Wirkmächtigkeit seiner Ideen als ausgezeichnetes Fundament. Von 1981 bis zu seinem Tod im Jahre 1998 wurde er sesshaft: Er lehrte während fast zweier Jahrzehnte an der Universität von Kansas.
Als Papanek 1970 «Design for the Real World» präsentierte, schlug das Buch ein wie eine Bombe: In über zwanzig Sprachen wurde es übersetzt und rund um den Globus gelesen. In einem ersten Teil bezichtigt Papanek die Industriedesigner unter dem Titel «Wie es ist» einer Mitschuld an der Schädigung von Mensch und Umwelt. In einem zweiten Teil diskutiert er eine Reihe in die Zukunft gerichteter Entwürfe.
Er hat damit, wie Alice Twemlow im Ausstellungskatalog schreibt, nicht nur die Debatten um ein humanitäres und umweltbewusstes Design in den Siebziger- und Achtzigerjahren, sondern auch jene um ein ökologisches und nachhaltiges Design in den Neunzigerjahren vorweggenommen. Sein Buch kann als Vorbote des aktuellen Engagements für eine urbane Landwirtschaft verstanden werden. In ihm finden auch Vertreter des Critical Designs, des barriere-freien Designs oder des Open-Source-Designs frühe Ideen und Impulse.
Die Idee des zielgruppenspezifischen Designs führt dazu, dass jedes Design individuell an den jeweiligen Nutzer angepasst ist.
Papaneks ganzheitlicher Ansatz, den er mit dem Architekten Richard Buckminster Fuller teilte, mit dem er befreundet war, sei von grösster Aktualität, sagt Amelie Klein. Sie hat für Vitra 2015 schon die hervorragende Ausstellung über Design-Tendenzen in Afrika konzipiert. Papanek hat sich zum Beispiel vehement dafür eingesetzt, dass das Design an die Bedürfnisse gesellschaftlicher Minderheiten angepasst wird.
Man weiss, dass Papaneks Mutter eher klein gewachsen war und der Sohn ihre Probleme im Umgang mit dem Normdesign, das gewöhnlich am weissen europäischen Mann grösserer Statur ausgerichtet war, täglich hautnah mitbekommen hat.
Der Designer setzte sich aber auch für kindgerechte Möbel ein oder für Essbestecke, die Menschen mit motorischer Behinderung gebrauchen können. In der Ausstellung sind entsprechende von seinen Schülern entworfene Objekte zu sehen. Die Idee des zielgruppenspezifischen Designs führt in letzter Konsequenz dazu, dass jedes Design individuell an den jeweiligen Nutzer angepasst ist. Da ist der Weg zum Do-it-yourself und zur Maker-Kultur dann auch nicht mehr weit, wozu Papanek in seinen Texten ausdrücklich auffordert.
Badezuber auf Rädern
Da Papaneks Schaffen als Objektdesigner relativ wenig hergibt, stellt die Ausstellung unterschiedlichste Entwürfe vor, die seine Ideen weiterentwickeln. So ging beispielsweise das heute gebräuchliche Symbol für Barrierefreiheit aus einem Zeichen mit Rollstuhl hervor, das eine Papanek-Schülerin 1968 vorschlug. Im gleichen Jahr stellten zwei Designer unter Papaneks Anleitung «künstliche Kletten» her, das sind sternförmige, in Pflanzensamen getauchte Gebilde, die vom Flugzeug aus über der Wüste abgeworfen werden können.
Dann gibt es diverse Möbel, die im Sinne von Papaneks Buch «Nomadic Furniture» ebenso leicht herzustellen wie zu transportieren sind. Auch kindgerechte Spielburgen hat er entworfen. In der Ausstellung sieht man zudem eine ganze Reihe von Schuhentwürfen mit überhohen Absätzen, die kleineren Menschen helfen, in einer Normküche zu hantieren.
Schliesslich sei auch noch auf Papaneks Entwurf eines Geländewagens für die Dritte Welt hingewiesen, der aus dem Jahr 1964 stammt. Das Gefährt, das einem Badezuber auf Rädern gleicht, ist ebenso simpel wie hässlich. Auf heutige Designer aus Indien oder Indonesien wirken solche Entwürfe, wie man in der Ausstellung erfährt, gönnerhaft und herablassend. Wer sich heute mit Design beschäftigt, ist deshalb überzeugt, ohne die Bedeutung Papaneks kleinreden zu wollen, dass die Bevölkerung in Schwellenländern besseres Design verdient hat.
Vitra Design Museum, Weil am Rhein, bis 10. März 2019. Begleitende Vorträge. Am 22. 11., 18.30 Uhr, spricht Alison J. Clarke über Papaneks «Design Revolution». www.design-museum.de
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch