
In den Worten von Lukas Ott schwingt Sozialromantik mit: «Die Grünen sind für mich immer noch mehr eine Bewegung als eine Partei», sagt der frühere grüne Liestaler Stadtpräsident, der heute als Basler Stadtentwickler tätig ist. In Tat und Wahrheit aber verrät diese Einschätzung viel über das Konfliktpotenzial seiner Partei.
Denn was die Grünen eint, ist der vereinte Kampf für die Umwelt. Viel mehr findet sich nicht in ihrer DNA. Und deshalb ist die Partei auch so zerbrechlich, wenn sich neue politische Herausforderungen stellen.
Zum Beispiel Corona. Der besonders naturverbundene und antikapitalistische Teil der Grünen versammelte sich hinter den Massnahmenkritikern. So auch Grünen-Landrätin Laura Grazioli: Sie wurde auf Druck mehrerer Parteikollegen hin nicht für die Nationalratsliste nominiert, weil sie sich aktiv für die Souveränitätsinitiative des Corona-Massnahmen-Skeptikers Nicolas A. Rimoldi einsetzt. Diese fordert, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingeht, die in die Grundrechte ihrer Bürger eingreifen. Das klingt den Grünen zu sehr nach SVP, weswegen man sich distanziert hat.
Opfer des Alleingangs
Grazioli ist nicht die Erste, die wegen einer abweichenden Meinung bei den Grünen in Ungnade fällt. Auch der ehemalige Landrat Jürg Wiedemann wurde 2015 Opfer seines Alleingangs. Er kämpfte mit seinem Komitee Starke Schule Baselland an vorderster Front gegen die Einführung des Lehrplans 21. Die Kritik wurde von einer Mehrheit der Grünen Baselland nicht geteilt. Diese Uneinigkeit mündete gar in einen Rauswurf Wiedemanns, der daraufhin die Grünen Unabhängigen gründete – und unter anderen Regina Werthmüller ins Boot holte (heute parteilos).

Allein waren auch Klaus Kirchmayr und Philipp Schoch, als sie vor etwas über zehn Jahren die Initiative zur Fusion der beiden Basel lancierten. Damit brachten sie Parteikollegin Esther Maag auf die Palme. Die Landratspräsidentin aus dem Jahr 2007/2008 fühlte sich übergangen, weil sie aus den Medien davon erfahren hatte. Ausgerechnet sie, die einst die Idee gehabt hatte, einen Kanton Nordwestschweiz zu gründen. Maag gab daraufhin den Parteiaustritt bekannt und bezeichnete die Baselbieter Grünen als «krankes System». Es sei nicht das einzige Mal gewesen, dass die Parteispitze «engagierte, aktive Mitglieder» gezielt ausgeschlossen habe.
Als krankes System würde Jürg Wiedemann seine frühere Partei zwar nicht bezeichnen – er hat seinen Parteiausschluss nie jemandem persönlich genommen. Doch wenn er erzählt, wie er damals zu den Grünen gestossen ist, merkt man, welche Zufälligkeiten Menschen zusammenführte, die eigentlich nicht zusammengehörten. Wiedemann hatte sich mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee einen Namen gemacht. Das reichte, um nach der Jahrtausendwende auf der Grünen-Landratsliste zu landen. «Damals gab es innerhalb der Grünen praktisch keine Regeln und keine Hierarchie, jeder konnte tun und lassen, was er wollte, wenn man sich zu den grünen Umweltthemen oder zu AKW, ÖV oder Armee richtig stellte», sagt er.

Wiedemann erinnert sich auch an die Unstrukturiertheit, die nach seiner Wahl in der Grünen Fraktion herrschte – das war 2003. «Vieles war sehr lasch», sagt er. «Jeder konnte einen Vorstoss einreichen, ohne Rücksprache zu halten.» Dieses Machtvakuum ermöglichte es auch den Lehrerinnen und Lehrern, sich klar zu positionieren. Neben Werthmüller war das unter anderen Michael Pedrazzi, der heute im Vorstand seiner «Starken Schule» sitzt.
Ein dünnes Fundament
Dass eine Anti-AKW- und Anti-Armee-Haltung nicht für das ewige gemeinsame Glück ausreichen, mussten die Baselbieter Grünen schon in ihren Anfängen feststellen. 1991 fusionierten die Progressive Organisation Baselland (POBL), die Grüne Partei und die Grüne Liste zu den Grünen Baselbiet. Zwar konnte noch im gleichen Jahr mit Ruth Gonseth der erste grüne Nationalratssitz im Landkanton gewonnen werden. Doch bereits drei Jahre später zerbrach das Bündnis wieder. So sah sich die POBL eher als Kollektiv, bei dem die einzelnen Mitglieder ihre Mandatsabgaben an die Partei abgeben wollten. Gonseth hingegen soll sich dagegen gewehrt haben. Sie schoss in der «Basler Zeitung» zurück. «Die POBL begann parteiintern zu dominieren. Das wurde irgendwann unerträglich.»
Die aus diesem Zerwürfnis hervorgegangenen Parteien waren die Grünen Baselbiet und die Freie Grüne Liste. Lukas Ott war 1994 der erste Präsident der Freien Grünen Liste. Heute sagt er: «Wenn man die Persönlichkeiten anschaut, waren viele zentrifugale Kräfte an der Arbeit. Es ging wie immer in der Politik um Macht und Einfluss.»
Gut sieben Jahre später gingen die Grünen Baselbiet ein, die Freie Grüne Liste benannte sich in Grüne Baselland um. Getragen von Umweltkatastrophen wie Fukushima und dem Klimawandel, kann die Partei seither auch im konservativen Baselbiet viele Erfolge verzeichnen – unter anderem stellt sie mit Maya Graf die Ständerätin.
Ihr Problem bleibt aber das dünne Fundament. Wenn es um neue Herausforderungen in Bildungspolitik, Gesundheitspolitik oder Finanzpolitik geht, droht dieses zu brechen. So wie im Fall von Grazioli.
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Nach Grazioli-Eklat – Warum zoffen sich die Grünen ständig?
Die Nichtnominierung von Laura Grazioli für die Nationalratsliste der Baselbieter Grünen ist nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte der parteiinternen Zerwürfnisse.