
Die sozialen Medien sind voll davon. «Positive vibes only», «focus on the good», «love yourself». Solche Bildbeschreibungen, Storys oder auch Posts lese ich oft.
Und ganz ehrlich, mir geht das mittlerweile ziemlich auf die Nerven.
Mich stören diese Sonnenschein-Influencer, die täglich davon sprechen, wie wichtig es sei, das Beste aus dem Tag rauszuholen. Es gibt dieses berühmte Zitat des Schriftstellers Mark Twain: «Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.»
Es gibt auch Schattenseiten
Früher habe ich das Zitat als Mutmacher gesehen, heute hat es für mich etwas Forderndes. Es ist ein schmaler Grat zwischen Optimismus und der sogenannten toxischen Positivität, zwischen Mut- und Druckmacher. Im Zeitalter der ständigen Vergleichbarkeit in den sozialen Medien können solche «Everybody’s Darling»-Influencer echt anstrengend sein. Diese ungesunde Positivität kommt auch oft im Alltag vor, und dessen sind wir uns nicht einmal bewusst.
Der Begriff der «toxischen Positivität» kommt aus der Psychologie und soll eine Art Scheinpositivität beschreiben, bei der die positiven Gefühle so ins Zentrum gerückt werden, dass alle negativen Gefühle verdrängt werden. Es ist wichtig, die Sonnenseiten des Lebens zu zelebrieren – aber dabei sollten wir genauso die Schattenseiten akzeptieren.
Bei der toxischen Positivität jedoch erhalten diese negativen Gefühle keine Schaubühne. So wird der Umgang mit negativen Gefühlen gar nicht erst geübt, was sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken kann.
Ein Satz, den wir aus dem realen Leben kennen, ist dieser: «Alles wird gut!» Oder auch: «Es gibt viel Schlimmeres!» Und: «Alles passiert aus einem bestimmten Grund.» Hört sich alles im ersten Moment grossartig an, ist aber nicht hilfreich.
«Es ist unmöglich, konstant gut gelaunt und glücklich zu sein, wie es viele Influencer vorgeben. So funktioniert das echte Leben nun mal nicht.»
Derjenige, der einen solchen Satz ausspricht, hat mit Sicherheit keine bösen Absichten. Aber das Gegenteil von gut ist gut gemeint, und so kann auch eine schlechte Handlung aus einer guten Absicht erfolgen.
In solchen Momenten fühlt sich die Person, der etwas Unangenehmes widerfährt, nicht ernst genommen oder nicht verstanden. Viel empathischer wäre es, wenn wir einander sagen würden: «Deine Situation ist wirklich sch…. schlecht. Was kann ich für dich tun, wie kann ich helfen?»
So etwas hört man aber nie von diesen Sonnenschein-Influencern. Und das ist schade.
Dass man mich nicht missversteht: Ich bin sehr aktiv in den sozialen Netzwerken und verbringe gerne Zeit in dieser digitalen Welt. Aber ich bin mir bewusst, dass dies eine falsche Realität ist.
Ich lade keine Storys ohne Filter hoch, ich bearbeite meine Bilder, bevor ich sie hochlade, ich drehe Storys mehrmals, wenn ich mich verspreche. Ich inszeniere mich, mein Leben und mein Umfeld. Nicht nur ich, sondern alle, die in dieser Welt aktiv sind, tun das. Wir setzen uns wortwörtlich in Szene. Einige mehr, andere weniger. Wir zeigen nur einen kleinen Teil unseres Lebens. Es ist unmöglich, konstant gut gelaunt und glücklich zu sein, wie es viele Influencer vorgeben. So funktioniert das echte Leben nun mal nicht.
Es gibt nichts Gutes im Extremismus
Keine Person, die in den sozialen Netzwerken aktiv ist, wird in diesen authentisch sein können, denn es ist nicht normal, in eine Smartphone-Kamera zu sprechen. Wenn ich also Influencer sagen höre, dass sie auf ihrem Kanal «echt» und «authentisch» seien, dass sie wirklich lebten, was sie sagten, dass der Montag ihr absoluter Lieblingstag sei, rolle ich mich mit meinen Augen kurz in eine andere Dimension.
Wie gesagt, es gibt einen Unterschied zwischen Optimismus und toxischer Positivität. Optimismus lässt uns nachweislich gesünder leben. Es ist wichtig, dass wir nicht immer nur das Schlechte sehen. Aber genauso wichtig ist es, dass wir nicht immer nur das Gute betonen.
Es steckt nichts Gutes im Extremismus. Weder konstante Positivität noch dauernde Negativität. Am besten wäre es, wenn wir alle Gefühle so akzeptierten, wie sie sind, und allen Gefühlen denselben Raum liessen. Und noch besser wäre es, wenn wir dies nicht auf Instagram und Co. täten, sondern im echten Leben.
Und diesen Sonnenschein-Influencern würde ich gerne mal Regenwetter wünschen. Aber sie würden dann wohl nur vorgeben, sich für die Pflanzen, die endlich mal wieder Wasser bekommen, zu freuen.
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Kolumne Adela Smajic – Warum mir die Sonnenschein-Influencer auf die Nerven gehen
Adela Smajic inszeniert sich gerne in den sozialen Medien und ist sich bewusst, dass auch sie eine falsche Realität vorgaukelt. In ihrer Kolumne moniert sie aber: «Heute dominiert eine toxische Positivität».