Warum Google weiss, was wir in 24 Stunden tun
Nehmen wir an, Sie haben morgen um 17 Uhr einen Termin in Genf. Ihr Smartphone wird Ihnen ungefragt mitteilen, wie das Wetter dort ist und wann der nächste Zug fährt. Wie das?
Wenn man im Internet surft, kann man sich vor Werbung nicht retten. Überall poppen Fenster auf, Anzeigen, die einem die tollsten Produkte präsentieren. Die Frage ist: Spricht einen die Werbung überhaupt an? Die Herausforderung für die Werbeindustrie besteht darin, Angebote auf die Präferenzen der Kunden zuzuschneiden. Das ist nicht immer einfach. Digitale Inserate können geblockt werden.
Die Algorithmen, die die Interessen der Nutzer ausloten wollen, liegen oft genug falsch. Wenn man in einer Nachricht bei Google Mail «Marokko» schreibt, folgert der Mechanismus zwar zu Recht, dass man Interesse an dem Land hat. Wie dieses zeitlich einzuordnen ist, weiss der Algorithmus nicht. Das kann dazu führen, dass man nach der Heimkehr seiner Marokko-Ferien noch immer Werbung für die Destination sieht – auch wenn man sich nicht mehr dafür interessiert. Der Effekt verpufft. Deshalb suchen Werber nach Mitteln, die Präferenzen besser zu bestimmten – oder sogar vorwegzunehmen.
Das Zauberwort, das die Techgiganten derzeit magisch anzieht, heisst «predictive search». Die Suchmaschine weiss schon vorher, was der Nutzer will – und sagt das Verhalten voraus. Google Now ist solch ein Such-Assistent, der einem proaktiv mitteilt, wann man das Haus zu verlassen hat oder welche Anschlussverbindung man im öffentlichen Nahverkehr benötigt.
Der Dienst durchforstet Mails und Kalender und weiss, was der Nutzer in Zukunft tut. Im Fall des Marokko-Aufenthalts würde Google Now schon ein paar Tage vor der Abreise Wetterinfos, den Wechselkurs und vielleicht ein paar nette Restaurants am Urlaubsort anzeigen. Damit greift der Dienst unmittelbar in die Ferienplanung ein.
Facebook kauft Kundendaten
Facebook arbeitet mit Marketingfirmen wie Epsilon und Datalogix zusammen, um Werbung effektiver zu lancieren. Der Internetriese hat sich bislang auf das Online-Geschäft fokussiert. Aus den «Likes» leiteten die Algorithmen Vorlieben ab. Doch nun beschreitet Facebook neue Wege: Der Konzern kauft Kundendaten von grossen Kaufhausketten und verknüpft sie mit den Namen seiner Nutzer via Mail-Adresse.
Da auf Kundenkarten genau registriert wird, welcher Kunde wann und wo welches Produkt gekauft hat, könnte man den Konsumenten auch auf Facebook finden und ihm entsprechende Angebote unterbreiten. Vorausgesetzt, er gibt dieselbe E-Mail-Adresse an. Das tun aber erstaunlich viele Verbraucher. Wer im Supermarkt häufig Cornflakes kauft, könnte bald auch auf Facebook Werbung für Zerealien erhalten – selbst wenn man sich nie als Fan zu erkennen gab.
Die Internetgiganten wollen immer mehr über das Verhalten ihrer Nutzer wissen. Wer sie sind, was sie denken, was sie fühlen. Die Firma Drawbridge ist eines von vielen Start-ups in Kalifornien, die die Suchpfade der Internetnutzer auf verschiedenen Geräten aufspüren. Das Start-up gibt an, mit seinem Algorithmus bereits 200 Millionen Nutzer identifiziert zu haben. «Wir beobachten ihr Verhalten und verbinden es mit ihren Mobilgeräten», sagt CEO Eric Rosenblum in unverhohlener Deutlichkeit.
Es klingt wie eine finstere Drohung aus einem Science-Fiction-Film. Zwar beteuert das Unternehmen in einem neuen «Praxiscode», die Profile würden anonymisiert. Glaubhaft ist das aber nicht. Erst im Sommer kündigte der US-Telekommunikationskonzern AT&T an, dass er aggregierte Kundendaten verkaufen würde. Allein, die Meldung versandete im Nachrichtengetriebe.
Spurenleser im Netz
«In den USA gibt es derzeit keine Restriktionen für die Verwendung von Daten», sagt die Datenschutzexpertin Jennifer King von der UC Berkeley School of Information. «Ohne klare rechtliche Regelungen für die Sammlung und Nutzung von Daten werden wir uns auf einen Punkt zubewegen, an dem Dritte eine erstaunliche Menge über unsere Präferenzen und Aktivitäten wissen.»
Neben Drawbridge haben sich Start-ups wie Flurry, Velti und SessionM auf die Analyse von Nutzerdaten spezialisiert. Flurry, das vor kurzem den Facebook-Manager Grady Burnett zum COO ernannt hat, bietet mit seinem Analytics-Programm eine ausgeklügelte Software an, die erkennt, wo und wie ein Smartphone-Gerät genutzt wird. Auf seinem Internetauftritt preist der App-Analyst einen «Big-Data-Vorteil» und ein «tiefgründiges Tracking», also die Nutzerverfolgung im Netz. «Die enorme Datenmenge verwandelt sich in einzigartige, machtvolle Einsichten für Sie.»
Der Dienst speist sich aus täglich über 3,5 Milliarden Session-Reports, einer Art Protokoll. Diese Reports geben Aufschluss darüber, wie lange und von welchem Gerät aus eine App genutzt wurde. Das Datenvolumen bewegt sich im Bereich von Petabytes. Damit könnte man die DNA der gesamten US-amerikanischen Bevölkerung erfassen. Flurry führte vor kurzem einen Echtzeit-Marktplatz ein, der es der Werbeindustrie erlaubt, Anzeigen just in dem Moment zu lancieren, in dem eine Applikation gestartet wird.
Nutzer einzeln ansprechen
Das Ziel der Markforschung ist es, jenes Verbrauchersegment anzusprechen, das für einen Kauf des Produkts infrage kommt. Wenn man in der Zeitung eine Anzeige schaltet, erreicht man damit zwar viele Menschen auf einmal. Das Feld der Leser ist breit gestreut. Doch die potenziellen Interessenten können nicht gezielt avisiert werden. Eine Anzeige für eine Frauenhandtasche wird von einem alleinstehenden Mechaniker vermutlich ebenso überblättert wie von einem Jugendlichen.
Im Internet dagegen kann man jeden Nutzer einzeln ansprechen. Man muss nur wissen, was er will. Die massenhafte Erhebung von Daten erlaubt der Werbeindustrie ganz andere Handlungsspielräume. Kreditkarten, Kundenkarten, Versicherungskarten – unsere ganze Kauf- und Krankenakte ist darauf gespeichert. Geschickt verknüpft, können die Daten veredelt werden. Und erhalten eine ganz andere Qualität.
Facebook ist nicht mehr darauf angewiesen, was Nutzer (freiwillig) über sich preisgeben. Es kann offline einiges über seine Nutzer herausfinden. Kooperations-Partner Epsilon hat eine Reihe grosser Firmen wie Ford, Walgreens, Kraft Foods, GM und Pepsi in seinem Portfolio. Diese Daten werden Facebook zugespielt – legal, versteht sich. Somit weiss der Internetgigant, welcher seiner Nutzer kürzlich einen Kleinwagen bei Ford gekauft hat oder regelmässig Coca-Cola konsumiert.
Der Clou: Durch die geschickte Verbindung von Offline und Online-Geschäft kann Facebook seine Algorithmen feiner justieren. Das Unternehmen sagt, mit dieser Methode würden Marktteilnehmer «die richtige Zielgruppe mit den richtigen Produkten erreichen».
Das klingt nach einem Heilsversprechen. Fakt ist: Weniger wird die Werbung im Netz sicher nicht werden. Doch sie wird immer zielgerichteter.
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