Psychologie der GewaltWarum Gefrustete einen virtuellen Garten verwüsten
Neigen benachteiligte Gruppen eher zu Gewalt? Forschende haben diese These mithilfe eines Computerspiels untersucht.

Der Versuchsaufbau: ein Frühstückstisch, Fruchtsaft, zwei Gläser. Die Probanden: zwei Kinder im Kita-Alter. Füllt man die beiden Gläser nun etwas ungleich, lässt das Ergebnis nicht lange auf sich warten. Vermutlich wird ein Kind lautstark protestieren, warum denn sein Geschwisterchen mehr bekomme. Unfair, gemein! Nachschenken bringt wiederum die Gegenseite in Wallung, die sich ihrerseits übervorteilt sieht. Willkommen in der Eskalationsspirale.
Eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Verhalten liefert die «relative Deprivation». Laut dieser Theorie fühlen sich Menschen beraubt, wenn sie das Gefühl haben, weniger zu bekommen, als ihnen zusteht – auch wenn sie objektiv keinen Mangel leiden.
Vergleich mit anderen birgt Frustrationspotenzial
Die Ausprägungen gehen weit über kindliche Wutausbrüche hinaus. So wird die Benachteiligung gesellschaftlicher Gruppen auch mit Krawallen und gewalttätigen Ausschreitungen in Verbindung gebracht, etwa als im Jahr 2011 Jugendliche in London Scheiben einschlugen und Geschäfte plünderten. Doch Belege für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Gewalt sind rar, die These folglich umstritten. Daher haben Psychologinnen und Psychologen das Ganze nun mithilfe eines Computerspiels untersucht.
Forscherinnen und Forscher um Guillaume Dezecache vom University College London haben für den Versuch eine App programmiert, in der zwei Teams um die Wette einen Garten gestalten. Indem die Mitglieder einer Gruppe zusammenarbeiten, entstehen auf dem Bildschirm Blumen, Bäume oder Parkbänke. Auch wie der gegnerische Garten nebenan gedeiht, ist zu sehen. Doch das Spiel hat auch eine destruktive Seite. So kann eine Gruppe auch die Blumen der Nachbarn plattwalzen und deren Garten verwüsten.
In vielen Runden benachteiligten die Psychologinnen und Psychologen gezielt eine Seite. Diese musste doppelt so hart schuften, damit eine neue Pflanze wuchs. Gesagt hatten die Forschenden den Spielenden nichts von dem Eingriff. Diese sahen nur, wie der Garten ihrer Gegnerinnen und Gegner deutlich rascher wuchs – und damit ihre eigene Frustration. Das Ergebnis: Benachteiligte Gruppen drückten deutlich häufiger den Zerstörungsknopf als unter gleichen Bedingungen, berichten die Forschenden im Fachjournal «Proceedings of the Royal Society B».
«Wenn die Frustration steigt, kommt irgendwann der Punkt, ab dem man aufhört, konstruktiv zu sein.»
Natürlich ist es nicht dasselbe, ob man einen Schalter in einem virtuellen Spiel umlegt oder sich einem Aufstand in der realen Welt anschliesst. Allerdings sehen die Forscherinnen und Forscher Hinweise, dass in beiden Fällen ähnliche psychologische Mechanismen am Werk sind. «Wenn die Frustration steigt, kommt irgendwann der Punkt, ab dem man aufhört, konstruktiv zu sein», sagt Dezecache. «Aggression setzt diesen Frust frei.» In Befragungen gaben die Teilnehmenden an, dass häufig der Vergleich mit den Gegnerinnen und Gegnern ausschlaggebend für die Zerstörungsorgie war, nach dem Motto: Warum sind die schon so weit, hätten wir das nicht auch verdient?
Als unzureichend bezeichnet Dezecache hingegen die häufig von Politikerinnen und Politikern vertretene These, dass gewalttätige Gruppen eben aus aggressiven Personen bestehen. Schliesslich liess sich im Experiment jede beliebig zusammengewürfelte Mannschaft zum Randalieren hinreissen, sofern sie benachteiligt war.
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