Warum die Verschärfung keine ist
Die Justiz sorgt dafür, dass die meisten Eritreer in der Schweiz bleiben dürfen.

«Härtere Gangart gegen Eritreer», «Kein Asyl mehr für illegal ausgereiste Eritreer», so und ähnlich titelten gestern die Medien quer durchs Land. Der Auslöser für diese Schlagzeilen war ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts, also der höchsten Instanz bei der Beurteilung von Beschwerden abgewiesener Asylbewerber. Die St. Galler Richter hatten den Fall eines Eritreers zu beurteilen, der 2014 ein Asylgesuch in der Schweiz stellte. Als Grund für seine Flucht nannte er die Angst, in den Militärdienst eingezogen zu werden. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) lehnte das Gesuch ab, wogegen sich der Mann vor Bundesverwaltungsgericht wehrte.
Mit ihrem Urteil stützen die St. Galler Richter die seit letztem Juni geltende neue Entscheidpraxis des Bundes, wonach allein die illegale Ausreise nicht mehr ausreicht, damit Eritreer in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden. Denn gemäss SEM ist die Bestrafung der illegalen Ausreise in Eritrea nicht mehr so schwerwiegend, dass sie die Flüchtlingseigenschaft begründen würde. Diese Einschätzung stützt das SEM auf Informationen, die die Behörde vor Ort eingeholt und überprüft hat. Betroffen vom Entscheid sind Personen, die keine «offene Rechnung» mit dem Militärdienst haben, also noch nie für den eritreischen Nationaldienst aufgeboten worden sind, davon befreit oder aus dem Nationaldienst entlassen wurden.
Unglaubwürdige Berichte
Die Menschenrechtslage in Eritrea ist heftig umstritten. Die UNO schildert sie in ihren Berichten drastisch und spricht von Sklaverei, willkürlichen Inhaftierungen, Folter, Vergewaltigungen und Mord. Vor allem in der jüngeren Vergangenheit kamen jedoch erhebliche Zweifel an dieser Darstellung auf. So kam eine überparteiliche Gruppe von Schweizer Politikern, die Anfang 2016 im Land am Horn von Afrika unterwegs war, um sich selber ein Bild der dortigen Situation zu machen, zu anderen Schlüssen. Bei ihrer Rückkehr vertraten die Teilnehmer fast ausnahmslos die Auffassung, die angeblich schlimmen Verhältnisse seien «eine westliche Lügengeschichte». Anfang Januar wurde ein Bericht publik, in dem die Botschafter aus Frankreich, Italien, Grossbritannien, Deutschland und der EU der Darstellung der UNO diametral widersprachen. Zwar gebe es in Eritrea keine Transparenz und kein unabhängiges Rechtssystem. Aber Berichte über Sklaverei, willkürliche Verhaftungen, Folter, Mord und Vergewaltigungen seien nicht glaubwürdig, weil sie in den «allermeisten Fällen» bloss pauschal ohne Angabe von Ort, Zeit oder Täter erhoben und sich auf einen Zeitraum von 25 Jahren erstrecken würden. Genaue Angaben seien jedoch Bedingung für so schwerwiegende Vorwürfe.
Im Bericht empfahlen die Botschafter deshalb den europäischen Staaten, der UNO-Empfehlung nicht zu folgen, wonach Eritreern «pauschal» Asyl zu gewähren sei. Also das zu tun, was die Schweiz seit dem letzten Juni tut, in dem sie Asylgesuche von Eritreern ablehnt, die allein ihre illegale Ausreise als Fluchtgrund angeben. Was auf dem Papier nach einer Verschärfung in der Asylpraxis klingt, ändert in Tat und Wahrheit allerdings nichts an der Aufnahmepraxis der Schweiz. Ob Flüchtling oder nicht – hier bleiben dürfen die meisten Eritreer.
Unzumutbarer Vollzug
Verantwortlich dafür ist das Bundesverwaltungsgericht. Wie ein Faktenblatt des SEM zeigt, ist gemäss gängiger Praxis und einschlägiger Rechtsprechung abzuklären, ob für den Fall der Rückkehr nach Eritrea «begünstigende individuelle Umstände prognostiziert werden können». Konkret: ob auf die Rückkehrer «ein wirtschaftlich tragfähiges soziales oder familiäres Netz oder andere die wirtschaftliche Integration ermöglichende Faktoren» warten. Lägen solche nicht vor, sei eine vorläufige Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu verfügen. Es ist nicht besonders viel Fantasie nötig, um sich vorzustellen, dass eine Ausschaffung nach Eritrea, das zu den ärmsten Ländern gehört, in den meisten Fällen als unzumutbar gilt.
Inzwischen leben insgesamt mehr als 35'000 Eritreer in der Schweiz. Ende 2008 waren es noch gut 7500. Schlecht bis gar nicht ausgebildet leben über 80 Prozent von ihnen von der Sozialhilfe. Und jährlich steigt ihre Zahl. Auch 2016 waren die Eritreer mit 5178 Gesuchen die grösste Asylbewerbergruppe. Laut der Statistik des Bundes erhielten letztes Jahr zwar 719 Eritreer weder Asyl noch eine vorläufige Aufnahme. Dass sie das Land verlassen, ist reine Theorie: Eritrea nimmt seine Staatsbürger nur auf, wenn sie aus freien Stücken heimkehren. Freiwillig ausgereist sind letztes Jahr gerade einmal 22 Eritreer.
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