Christliche Hungersekte in KeniaWarum die Good-News-Church fast 100 Menschen in den Tod trieb
Fast 100 Tote wurden bereits gefunden, im Wald, in dem Paul Mackenzie mit seinen Anhängern lebte. Der Pastor soll sie angestiftet haben, sich zu Tode zu hungern. Nun diskutiert Kenia: Wo sind die Grenzen der Religionsfreiheit?

An einem Donnerstag Ende März stürmt eine völlig aufgelöste Frau in das Büro der Menschenrechtsorganisation Haki Africa in der kenianischen Küstenstadt Malindi. Sie brauche Hilfe, ruft die Frau, das Leben ihres Sohnes sei in Gefahr. So erzählt es Hussein Khalid, der Leiter von Haki Africa, am Telefon. Und wenn es so war, wie Khalid berichtet, dann steht die Angst dieser Mutter um ihr Kind am Beginn einer Enthüllung, die Kenia seit einer Woche erschüttert wie wohl kein anderes Ereignis der vergangenen Jahrzehnte.
Der Vater des Fünfjährigen, so schildert es die Mutter Khalids Mitarbeitern, habe sich der Good News International Church des Pastors Paul Mackenzie angeschlossen. Wenige Tage zuvor habe er auch den Sohn mitgenommen in den Wald von Shakahola, wo Mackenzie und seine Anhänger in und um eine Farm leben. Deshalb seien nun zwei Männer zu ihr gekommen, selbst ehemalige Jünger Mackenzies, und hätten sie gewarnt: Die Menschen sterben im Wald von Shakahola. Sie werden auch deinen Sohn umbringen.
Die dunkelrote Erde
Die Mutter, die zwei Männer und ein Mitarbeiter von Haki Africa gehen zur Polizei. Die schickt sie wieder weg. Also gehen sie selbst in den Wald, werden von Mackenzies Anhängern angegriffen, doch am Ende entkommen sie mit dem Kind. Und gehen wieder zur Polizei, denn der Junge hat Schreckliches zu berichten: von abgemagerten, sterbenden Menschen, von Leichen, die überall herumliegen, von einem Friedhof. Die Polizei schickt zwei Beamte in den Wald von Shakahola, auch sie werden angegriffen und vertrieben. Jetzt nimmt die Polizei das Thema ernst. Sie schickt Verstärkung, lässt sich nicht mehr aufhalten. Und findet genau das, was das Kind beschrieben hat.
90 Leichen haben die Ermittler eine Woche später ausgegraben, eingehüllt in Laken, bedeckt nur von einer dünnen Schicht Erde, die hier im Südosten Kenias dunkelrot ist. Die Mehrheit der Toten sind offenbar Kinder. Und jeden Tag werden es mehr. Der Name des Dorfes Shakahola ist zum Synonym für den Schrecken geworden.

Die kenianischen Medien sprechen vom «Horror von Shakahola» oder vom «Massaker von Shakahola» und reihen die Good News International Church in die Liste der Weltuntergangssekten ein, die zahlreichen ihrer Anhänger den Tod brachten. So wie die People’s-Temple-Sekte um den Amerikaner Jim Jones, die 1978 im Urwald von Guyana in einem Massenmord und Massensuizid endete. Wie die Heaven’s-Gate-Sekte mit 39 Suiziden in der Nähe von San Diego im Jahr 1997. Oder wie die «Bewegung zur Wiederherstellung der Zehn Gebote» in Uganda, deren Anführer im März 2000 Hunderte Anhänger ermordeten, nachdem der erwartete Weltuntergang ausgeblieben war.
Sektenführer Paul Mackenzie wurde gemeinsam mit mutmasslichen Helfern festgenommen; am Donnerstag kam auch noch ein bekannter Fernsehprediger dazu.
Und es steht zu befürchten, dass die Zahl von bislang knapp 100 Todesopfern – 8 Menschen starben, nachdem sie gefunden worden waren – nur eine Zwischenbilanz ist. Viele, die sich Pastor Mackenzie angeschlossen hatten, werden noch vermisst. Und der Wald von Shakahola ist riesig, am Mittwoch wurde laut Kenias Innenminister Kithure Kindiki ein Gebiet von mehr als 20’000 Hektaren für weitere Ermittlungen abgesperrt. Nicht nur die Medien haben keinen Zugang mehr, sondern auch die Menschen, die seit einer Woche nach vermissten Angehörigen gesucht haben.
Paul Mackenzie wurde gemeinsam mit mutmasslichen Helfern festgenommen; am Donnerstag kam auch noch ein bekannter Fernsehprediger dazu. Mackenzie droht eine Anklage wegen Völkermords. Die Ermittler gehen davon aus, dass er seine Anhänger dazu angestiftet hat, sich zu Tode zu hungern. So kämen sie in den Himmel, noch bevor die Welt am 15. April untergehen werde. Er selbst, Mackenzie, werde als Letzter folgen und dann hinter sich die Türen schliessen. So berichtete es ein Mann namens Stephen Mwiti, dessen Frau und sechs Kinder sich Mackenzie angeschlossen hätten und vermisst werden, der Nachrichtenagentur Reuters. Es gibt aber auch Hinweise, dass einige der Opfer nicht verhungerten, sondern ermordet wurden, weil sie zu fliehen versuchten.

Hussein Khalid von Haki Africa war am Samstag das erste Mal im Wald von Shakahola. Seitdem ist er jeden Tag dort und veröffentlicht auf Twitter Bilder und Videos, einige von ihnen sind kaum zu ertragen. Er hat riesige Gräberfelder gesehen, auf denen Stöcke oder hölzerne Kreuze die Orte markieren, wo Menschen begraben sind. Er hat die Leichen gerochen, als sie aus der Erde geholt wurden. Er hat Überlebende gesehen, von denen manche gerade erst mit dem Fasten begonnen hatten und manche schon sehr geschwächt waren, weil sie seit Tagen nichts getrunken und gegessen hatten. Und er hat Überlebende gesehen, die nicht gerettet werden wollten. Die ihre Lippen aufeinanderpressten, wenn jemand ihnen Glukosewasser einflössen wollte. Deren Glaube durch das Auftauchen von Polizisten und Helfern nur noch gefestigt wurde, weil Pastor Mackenzie genau das prophezeit habe: dass Gesandte des Satans kommen würden, um sie auf dem Weg in den Himmel aufzuhalten.
Kaution von 70 Franken
In Kenia wird jetzt vor allem über zwei Fragen diskutiert: Wie weit darf die Religionsfreiheit reichen? Und welche Verantwortung tragen die Behörden? Denn Paul Mackenzie war kein Unbekannter. 2017 geriet der Pastor erstmals auf den Radar der Polizei, mehrfach stand er vor Gericht. 2019 schloss er seine Kirche in der Stadt Malindi und zog mit seinen Anhängern in die Einsamkeit von Shakahola.
Doch völlig unbemerkt blieb Mackenzie auch dort nicht. Erst vor wenigen Wochen befragte ihn die Polizei im Zusammenhang mit dem Tod zweier Kinder, die ihre Eltern mutmasslich hatten verhungern lassen. Doch gegen eine Kaution von 10’000 kenianischen Schilling, umgerechnet knapp 70 Franken, kam er am 23. März wieder frei – genau an dem Tag, als in Malindi eine verängstigte Mutter das Büro von Haki Africa betrat.
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