
Dies ist die Geschichte einer Strasse in der Minderen Stadt, in deren genetischem Code die Probleme Lärm, Überwirtung und mangelnde Gottesfurcht verankert sind. Und zwar seit Bischof Heinrich vor etwas mehr als 700 Jahren die Rheingasse als Erweiterung der Gewerbezone schuf, weil es hinter den engen Stadtmauern des Grossbasels absolut keinen Platz mehr gab. Das wiederum passt zu den jüngsten Geschehnissen in ebendieser Strasse, denn um Mauern und Stadtentwicklung geht es auch im Folgenden.
Beim Antonierhofbrunnen (kurz vor der Ueli-Brau-Bar und der Fischerstube) steht das wunderschöne Gebäude des Arbeitsamts von Erwin Rudolf Heman aus dem Jahre 1932. Eine Hommage an Walter Gropius. Abriegelnd zur Rheingasse steht eine hohe Mauer mit mächtigen Schmiedeeisentoren. Vor nicht allzu langer Zeit stellten sich jedoch einige Bewohnerinnen und Bewohner der Rheingasse vor den Antonierhofbrunnen und dachten sich im Kopf die hässliche Mauer weg. Und siehe da, es öffnete sich ein wunderschöner Platz hin zum halbrunden Bau, links und rechts flankiert von altem Baumbestand hin zur höher gelegenen Utengasse. Ein grosser, einladender Platz, just im engsten Teil der Rheingasse.
Heute nun erreicht Basel eine Postille aus dem Rathaus: Der Anzug «Schaffung eines idyllischen Plätzchens im Kleinbasel» wurde abgeschrieben. Abgeschrieben heisst in diesem Fall «Schluss mit lustig», kein Platz, kein Verweilen, die Mauer bleibt stehen, die Tore werden nachts abgeschlossen. Wie kann man so eine Chance preisgeben? Wie kann man, in diesem Falle, zwei bedeutende Altstadtstrassen wie die Utengasse und die Rebgasse weiterhin abgehängt lassen? Wohlgemerkt: Es gibt bis anhin lediglich zwei offene kleine Verbindungsgassen zwischen Rheingasse und Utengasse, das Schafgässlein und das Reverenzgässlein.

Man kann dies tun, etwas böse formuliert, weil es eben das Kleinbasel ist, weil man beim Verkehrskonzept Innenstadt und den geschaffenen Begegnungszonen keine Vision hatte, ausser leere, unbelebte Altstadtstrassen ohne Autos, und weil man den Begriff «Belebung» noch immer als des Teufels betrachtet (keine Gottesfurcht). Aber das Baudepartement klebt beim mutlosen Verzicht noch ein Trostpflästerchen drauf:
«Im Rahmen der Gesamtsanierung des Amts für Wirtschaft und Arbeit (Arbeitsamt) an der Utengasse wird auch dessen Umgebung (…) aufgewertet. Das Areal wird während der Geschäftszeiten sowohl als Verbindung zwischen den beiden angrenzenden Gassen als auch für den Aufenthalt nutzbar sein. Dazu werden unter anderem zusätzliche neue Sitzgelegenheiten geschaffen, Tischbankgarnituren bereitgestellt und Bäume gepflanzt». Grossartig. Und abends kommt der Nachtwächter und schliesst den idyllischen Platz – macht Sinn.
Wann, liebe Regierung, lernt ihr, dass wir nicht auf staatlichen «Garnituren» sitzen mögen?
Wann, liebe Regierung, lernt ihr, dass wir nicht auf staatlichen «Garnituren» sitzen mögen? Wann anerkennt ihr, dass die unter Sechzigjährigen in dieser Stadt andere Bedürfnisse nach Freiheit und Leben haben? Bis auf den Umbau Kaserne sind alle bisherigen Aufwertungskonzepte im Kleinbasel gescheitert.
Gescheitert am Mangel an Visionen und einer Handvoll Schlafgänger, die nahezu jedes Aufwertungsprojekt in der Rheingasse begraben wollten (Boulevard Rheingasse, Adväntsgass etc.) und die wohl für den schönsten Schlusssatz aus dem grossen Departement Pate standen: «Aus denkmalpflegerischen Erwägungen, aber auch aus Gründen der Sicherheit bleibt die bestehende Mauer entlang der Rheingasse erhalten. Dies erlaubt eine nächtliche Schliessung des Areals, ohne den Zugang zum Brunnen in der Rheingasse zu beeinträchtigen.»
Da bleibt neben der Frage, wen es vor wem zu schützen gilt, und dem Lehrsatz, dass erst Belebung soziale Sicherheit schafft, nur ein «peinlich!»; ich gehe jetzt in den Keller und schäme mich für das Ungemach, welches ich meiner Stadt in all den Jahren bereitet habe.
Tino Krattiger, geboren 1961 in Basel, ist Unternehmer, Regisseur, Architekt, ehemaliger Grossrat und Kleinbasler. Seit 2000 ist er Organisator des Projekts «Floss» auf dem Rhein bei der Mittleren Brücke und als Kulturveranstalter tätig.

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Gastbeitrag zur Stadtentwicklung – Warum alle Aufwertungskonzepte im Kleinbasel scheitern
«Schluss mit lustig», kein Platz, kein Verweilen. Der Autor ärgert sich über Mauern, Mangel an Visionen und eine Regierung, die den Begriff «Belebung» noch immer als des Teufels betrachtet.