Warten auf den Lohn bis man kaputt ist
Der Schuldenberg wird in Spanien zum Teufelskreis: Gemeinden können Dienstleister nicht mehr bezahlen. Die bleiben ihren Arbeitern die Löhne schuldig – monatelang. Die Angestellten können sich kaum wehren.

Charo Garcia verdient ihr Geld mit Toilettenputzen, und sie tut es gerne. Sie fegt und wischt und schrubbt in einer Oberschule, damit die Halbwüchsigen dort in angenehmer Atmosphäre lernen können. «Ich mache sauber, als ob es meine eigenen Kinder wären», sagt die Mutter eines 15-jährigen Sohnes. Es gibt nur ein Problem: Garcia hat seit vier Monaten kein Geld mehr bekommen.
Wie ihr geht es vielen in Spanien. Scharen von Arbeitern, vom Gärtner bis zum Maurer, arbeiten monatelang ohne Lohn. Ihre Arbeitgeber versuchen, sich mühsam aus der Krise zu strampeln, sie ächzen unter enormen Schulden, und es sieht kaum so aus, als ob es bald besser würde.
Gemeinden könnten Schuldenstand nach den Wahlen höher ausweisen
Menschen wie Garcia sitzen in der Klemme: Wenn sie lieber kündigen, als auf die Entlassung zu warten, verlieren sie den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und es erwartet sie eine Arbeitslosenquote von 21 Prozent. «Es gibt eine Menge Leute, die morgens aufstehen und zur Arbeit gehen und nicht entlöhnt werden», sagt Arbeitsmarktexpertin Gayle Allard von der IE Business School in Madrid.
Wie viele es genau sind, vermögen Experten nicht zu sagen. Doch ihre Anzahl sei beträchtlich und könnte nach den Kommunalwahlen diesen Monat noch steigen, wenn die verschuldeten Städte und Gemeinden voraussichtlich noch grössere Haushaltslöcher beichten werden. An den Aufträgen dieser Kommunen hängen Tausende kleiner und mittlerer Unternehmen, die Arbeiter wie Charo Garcia beschäftigen.
«Psychologisch verheerend»
Wenn sie ihren Lohn bekommt, sind es 475 Euro monatlich für die Halbtagsstelle. Ihre Firma putzt im Auftrag der Madrider Verwaltung 23 Schulen in der Hauptstadt und Umgebung. Ihr Mann Manuel verdient beim Wachschutz 1000 Euro.
Die 51-Jährige hängt an ihrem Job und harrt auf den Zahltag, den ihr Arbeitgeber fest versprochen hat. Allerdings hat er Gläubigerschutz beantragt, was die Zukunftsaussichten der 170 Reinigungskräfte noch trüber macht. Garcia sagt, sie sei so schlimmer dran als arbeitslos. «Psychologisch ist das verheerend. Wenn du arbeitslos bist, weisst du wenigstens, woran du bist», sagt sie. «Ich weiss nicht, ob die Leute verstehen, wie das ist zu arbeiten und nicht bezahlt zu werden, wie demoralisierend das ist.»
Nachdem sie seit Weihnachten keinen Lohn mehr bekommen hatte, trat Garcia mit einigen Kollegen Anfang des Monats schliesslich in den Streik. Die Probleme verfolgen sie bis in den Schlaf. Überall sucht sie Sparmöglichkeiten: im Winter warm einpacken, statt zu heizen, seltener die Waschmaschine anwerfen oder Bohnen statt Fleisch auf den Tisch bringen.
Seit Januar hat die zierliche Frau drei Kilo abgenommen. «Mein Mann sagt, an mir ist nichts mehr dran», sagt sie müde und zupft am weit gewordenen Hosenbund. Garcia weint fast, wenn sie von ihrem Sohn erzählt: kein Taschengeld, kein Handy mehr, keinen Cent für neue Turnschuhe, fürs Kino mit Freunden oder ein Getränk. Aber er beklagt sich nicht. «Er sagt, ich soll stark bleiben und mir seinetwegen keine Sorgen machen, er wird um nichts bitten. Und er gibt mir einen Kuss und drückt mich.»
Halbe Million Firmen eingegangen
Der «Baumdoktor» Jose Juan Villagran forderte mit einem einwöchigen Sitzstreik vor dem Rathaus von Aranjuez die Zahlung von 116'000 Euro ein, die die Stadt seinem Kleinunternehmen für Gärtnerarbeiten schuldete. Die Verwaltung habe die Summe nicht angezweifelt, aber erklärt, sie habe einfach kein Geld. Seine fünf Mitarbeiter bekamen zwei Monate keinen Lohn, einen musste er entlassen. «Wir haben noch andere Kunden», sagt Villagran. «Die Sache ist, bei einem Kleinbetrieb sind 116'000 Euro eine Menge Geld. So viel, dass ich bei der Bank einen Kredit aufnehmen musste.» Hätte die Bank Nein gesagt, wäre er am Ende gewesen. «So einfach ist es, eine Firma zu ruinieren», sagte der 41-Jährige. Inzwischen hat er 22'000 Euro erhalten, der Rest wird wohl noch Jahre dauern.
Die Initiative «Plattform gegen verspätete Zahlungen» schätzt, dass in der Krise mindestens eine halbe Million Firmen in Spanien wegen ausstehender Forderungen eingegangen sind und dass allein die Stadtverwaltungen auf unbezahlten Rechnungen in Höhe von 35 Milliarden Euro sitzen.
Pedro Arahuetes vom Städte- und Regionalbund kann diese Zahlen nicht bestätigen. Der Verband sei sich aber des Problems bewusst. Zahlungsrückstände von Städten seien nichts Neues, doch derzeit geizten die Banken mit Krediten, die den Unternehmen bei der Überbrückung helfen könnten.
Daniel Woolls/ ap
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