Wochenduell: Peking 2022Waren dies die emotionalsten Winterspiele aus Schweizer Sicht?
Beat Feuz vergoldet seine Karriere, die Schweizer Curlerinnen brechen komplett ein, und mit Dario Cologna hört einer der Grössten der Geschichte auf. Die Spiele in Peking boten Emotionen en masse.

Ja: Nicht nur die Triumphe von Gisin, Odermatt und Co. machen diese Spiele besonders, sondern vor allem die tragischen Rückschläge und Niederlagen
Und dann begann Beat Feuz zu weinen. Der Schweizer Skikünstler ist sonst kein Mann der vielen Worte, der die grossen Emotionen vor der Kamera zeigt, die Freudentränen, die Jubelschreie. Doch nach dem Goldlauf in der Abfahrt, in dem alles aufging, jeder Schwung sass, jeder Sprung perfekt ausgeführt war, da schaute Feuz im Fernsehinterview noch mal zurück auf seine teilweise schwierige Karriere und spannte den grossen Bogen zu seinem grössten Triumph.
«2013 war mein Knie am Arsch, ich wusste nicht, ob ich noch einmal zurückkommen würde. Jetzt stehe ich mit all diesen Titeln hier. Das sehe ich definitiv nicht als selbstverständlich an. Man darf die auch schattigeren Phasen der Karriere nie vergessen.» Feuz nahm im Zielraum sein Handy hervor und rief in die Heimat an, wo seine Partnerin mit den beiden Kindern vor dem Bildschirm das Rennen verfolgte. Für einmal wurde auch Feuz alles zu viel, er konnte die Tränen nicht zurückhalten.
Feuz’ Triumph in der Abfahrt war jedoch nur einer von vielen emotionalen Höhepunkten aus Schweizer Sicht an den Winterspielen in Peking, bei denen die helvetische Delegation weit über den Erwartungen blieb und im Medaillenspiegel auf Rang 8 landete, unter anderem vor Russland und Frankreich.
Michelle Gisin schaffte das schier Unmögliche, kämpfte sich vom Pfeiffer’schen Drüsenfieber im Sommer zurück und fuhr zu Gold (Kombination) und Bronze (Super-G). Die Schweizer Skicrosser Ryan Regez und Alex Fiva rasten als Erster und Zweiter über die Ziellinie und sorgten für einen seltenen Doppelerfolg. Und Mathilde Gremaud liess sich von ihrem schweren Sturz Anfang Saison sowie einer Gehirnerschütterung nicht unterkriegen und holte gleich Bronze und Gold im Freeski.
Doch es waren nicht die Erfolge in Peking, die die Siege von Ammann, Schneider und Russi aus der Vergangenheit in den Schatten stellen. Es waren die Enttäuschungen, die Rückschläge, die Abschiede, gepaart mit den widrigen Umständen bei diesen speziellen Spielen, die die Emotionen erst so richtig aufkommen liessen.
Die Skicrosserin Fanny Smith stand im Ziel, hatte Tränen in den Augen und freute sich über Bronze – ehe ihr alles weggenommen wurde. Die Olympiakarriere von Dario Cologna, einem der grössten Schweizer Sportler in der Geschichte, endete im eiskalten Wind von Zhangjiakou. Und die Schweizer Curlerinnen, angereist als Favoritinnen und Angstgegner aller Nationen, verloren zuerst den Halbfinal und brachen dann komplett ein. Spielerin Melanie Barbezat sagte nach dem Spiel um Bronze: «Wir sind mega enttäuscht.»
Dann begann sie zu weinen. Tobias Müller
Nein: Die Spiele in Peking boten uns nicht jene Art von Emotionen, die wir uns eigentlich vom Sport erhoffen
Die Olympischen Winterspiele in Peking sind vorbei – und das ist auch gut so. Sie waren ein politisch aufgeladener Megaevent, in vielerlei Hinsicht verstörend, waren weder nachhaltig noch in irgendeiner Weise stimmungsvoll. Kurz: Sie boten uns nicht jene Art von Emotionen, die wir uns eigentlich vom Sport erhoffen. Darunter litt nicht nur das Publikum, sondern insbesondere auch die Athletinnen und Athleten.
Dass die Spiele trotz Menschenrechtsverletzungen und Demokratiefeindlichkeit nach China vergeben wurden, liess wohl spätestens nach der zynischen Eröffnungsfeier kaum jemanden mehr kalt. Besonders schwierig war die Situation für die Sportlerinnen und Sportler: Sie, die eigentlich ihren Traum leben wollen, merkten, wie sie zu Marionetten in einem absurden Machttheater verkamen. Dies alles machte es für die Akteure ungleich schwieriger, sich emotional abzugrenzen und sich nur auf das Sportliche zu konzentrieren.
Die zusätzliche Corona-Unsicherheit sorgte endgültig dafür, dass weder im Vorfeld der Spiele noch am Austragungsort selbst jene besondere Olympiastimmung aufkommen konnte, die sich die Teilnehmenden angesichts ihrer Leistungen verdient hätten. So spielt es auch keine Rolle, wie erfolgreich die Schweizer Olympioniken in Peking waren oder welch grosse Abschiede und Tragödien sich im Schweizer Lager abspielten – die Emotionen erreichten die Heimat kaum.
Kunstschneeschneisen auf braunen Hügelketten, heftiger Wüstenwind, kaum Zuschauer vor Ort: Gefühlsmässig waren diese Spiele echt kein Mitreisser. Kommt hinzu, dass man die meisten Medaillenentscheidungen sowieso nicht live mitverfolgen konnte. Morgens aufzuwachen und zu erfahren, dass die Schweiz soeben Gold gewonnen hat, ist schön, aber nicht besonders aufregend. Überhaupt verteilte sich der Erfolg äusserst einseitig. 9 von 14 Medaillen holten die Alpinen. Oder anders: Ein Grossteil der Schweizer Delegation enttäuschte schlichtweg.
Apropos Medaillen: Die Ausbeute der Schweiz fiel zwar nur um eine Medaille geringer aus als bei den legendären Spielen in Calgary im Jahr 1988. Allerdings hat sich auch die Anzahl der Wettbewerbe mehr als verdoppelt, von damals 46 auf nun 109. Proportional gesehen ist die diesjährige Ausbeute also eher bescheiden. Doch selbst mit einem Vielfachen an Medaillen für die Schweiz würden sich unsere sportgerichteten Emotionen in Grenzen halten. Denn der eigentliche Verlierer in Peking war sowieso: der Sport selbst. Darius Aurel Meyer
* Das Wochenduell: Die «Basler Zeitung» stellt sich ab sofort in regelmässigem Abstand Themen, die die Sportwelt bewegen – und beleuchtet dabei in einem Pro und Kontra beide Seiten. Zuletzt erschienen: Ist das Olympia-Programm an den Winterspielen überladen? Ist Xherdan Shaqiris Wechsel zu Chicago Fire eine gute Entscheidung? Ist Tom Brady der beste Teamsportler der Geschichte? Ist Odermatt bereits einer der besten Fahrer der Geschichte? Ist der Afrika-Cup ein attraktiver Fussballwettbewerb?
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