Wochenduell zur Nagelsmann-EntlassungWar es korrekt, dass die Bayern Nagelsmann entlassen haben?
Der FC Bayern entliess vergangene Woche den 37-Jährigen nach nur eineinhalb Jahren und ersetzt ihn inmitten der Saison durch Thomas Tuchel. Ist das die richtige Entscheidung?

JA, der FC Bayern hat diese Saison nicht mehr die gleichen Leistungen erbracht wie in den Jahren zuvor. Nagelsmann erreichte die Mannschaft nicht und bei solch hohen Erwartungen ist Geduld fehl am Platz.
Julian Nagelsmann galt in seiner Zeit als Trainer von RB Leipzig als das nächste grosse deutsche Trainertalent. Und nachdem Hansi Flick die Bayern verliess, war es durchaus die richtige Entscheidung des Vereins, mit der Nagelsmann-Anstellung ein langjähriges Projekt einzuleiten.
Doch der FC Bayern ist der mit Abstand grösste Verein Deutschlands und einer der wichtigsten der Welt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an seinen Trainer. Nicht nur in der Zukunft, sondern im Hier und Jetzt. Und Nagelsmann – so viel Geduld man zuweilen mit einem Trainer aufbringen soll – hatte per sofort zu gewinnen. Die Meisterschaft wurde vor Nagelsmann neunmal in Folge gewonnen. Kein anderes Kader in Deutschland ist mit solchen Elite-Fussballern gespickt wie die Münchner. Und somit gibt es in der heimischen Liga keine Ausreden für den aktuellen Stand des FC Bayern.
Der Club kann in dieser Saison noch das Triple gewinnen – Liga, Pokal und Champions League. Doch so ein Topverein darf nicht auch nur beginnen zu straucheln. Ein Punkt hinter dem ersten Platz ist zu wenig Dominanz im Heim-Wettkampf. Und auch spielerisch sind die Bayern nicht mehr so konstant und dominant wie in den Jahren zuvor. Vielleicht ist es nicht nur die Schuld des Trainers. Doch es ist sein Job, dies zu richten und die Mannschaft entsprechend einzustellen. Man kann das Management und die Mannschaft nicht feuern. Also feuert man den Trainer. So ist es halt.
Zudem ist es auch am Trainer, sich mit der Vereinsführung auf der gleichen Wellenlänge zu befinden. Auch wenn sich die Geschichte noch nicht verfestigt hat, wenn Nagelsmann mit seiner Art Probleme verursacht hat, so haben sie einen neuen Kurs einzuschlagen. Selbst wenn Goretzka und Kimmich sich positiv zu Nagelsmann äusserten.
Thomas Tuchel hat sich auch noch zu beweisen, doch er hat unter den derzeit arbeitslosen Trainern mit Abstand das beste Résumé. Nicht nur wollten die Bayern ihn vor einigen Jahren bereits verpflichten, auch andere Vereine und Nationalmannschaften hatten Interesse. Tuchel gilt als brillanter Taktiker. Und auch Nagelsmann wird bei einem guten Verein seine Chance erhalten. Doch das Coachen des FC Bayern mit seinen gestandenen Starspielern war einfach (noch) nicht das richtige Umfeld für den jungen Trainer. Max Mäder
NEIN, die Bayern stehen diese Saison in vielen Aspekten zu gut da, um solch eine Entlassung zu legitimieren.
2,19. So viele Punkte holte Julian Nagelsmann als Trainer des FC Bayern München im Schnitt in seinen knapp zwei Spielzeiten in der Bundesliga. Es ist der vierthöchste Wert eines Trainers in der Bundesliga-Historie! Acht Siege in acht Spielen in der laufenden Champions-League- Kampagne – darunter sechs gegen Giganten wie den FC Barcelona, Inter Mailand und Paris Saint-Germain (alle zu null!) – sind weitere Indizien dafür, dass die Entlassung des 35-Jährigen aus sportlichen Gesichtspunkten nicht zu vertreten ist.
Klar, die Bayern haben am letzten Spieltag die Tabellenführung an Borussia Dortmund verloren. Doch der Zeitpunkt der Freistellung, mit dem Klassiker zwischen Bayern und dem BVB am Samstag sowie mit den Viertelfinal-Partien in der Königsklasse gegen Manchester City vor der Brust, ist äusserst fragwürdig. Vor den in München so oft zitierten «Wochen der Wahrheit» den Trainer auszutauschen, verunsichert auch die Mannschaft.
Von dieser habe Nagelsmann nicht mehr viel Rückendeckung erfahren, er habe «die Kabine verloren». Führungsspieler Joshua Kimmich wiedersprach derartigen Spekulationen vehement, auch Leon Goretzka stellte sich öffentlich hinter seinen Trainer, für ihn war der Rauswurf ein «Schock». Nagelsmanns Ersatz, Thomas Tuchel, ist zweifellos ein herausragender Taktiker. Der 49-Jährige gilt jedoch als schwieriger Charakter, er muss das Vertrauen der Mannschaft nun mitten im Saisonschlussspurt für sich gewinnen. Um seine hochgesteckten Saisonziele zu erreichen, geht der FC Bayern mit dem Trainerwechsel wohl ein höheres Risiko ein, als wenn man Nagelsmann zumindest bis Saisonende behalten hätte.
Auch in finanzieller Hinsicht schneiden sich die Bayern mit der Entlassung ins eigene Fleisch. Als «Langzeitprojekt» hatte der Vorstand um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic Nagelsmann im Sommer 2021 nach München geholt, 25 Millionen Euro hatte man im Gegenzug nach Leipzig überwiesen – Rekord für einen Trainer. Zudem wurde Nagelsmann mit einem Vertrag bis 2026 ausgestattet, nur mit einer saftigen Abfindung wäre er aus diesem wohl rauszukaufen.
Umgarnt von Tottenham, PSG und Real Madrid war Thomas Tuchel, den vor allem Salihamidzic schon länger auf dem Wunschzettel hatte, nur jetzt zu haben. So ist auch der ungewöhnliche Zeitpunkt seiner Verpflichtung zu erklären. Diese wirkt jedoch wie eine Panikreaktion der Bayern, die sie in vielerlei Hinsicht noch teuer zu stehen kommen könnte – auf Kosten von Nagelsmann, dessen Entlassung auch dem Ansehen der Münchner nicht wirklich zugute kommt. Benjamin Schmidt

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