Papablog: Überbewertete OrtsgebundenheitWann ziehen wir wieder um?
Umzüge sind eine Zumutung für Kinder. Tatsächlich? Unser Autor ist in den letzten Jahren mit seiner Familie dreimal quer durch Deutschland gezügelt – und fands grossartig.

«Machen wir eigentlich auch ein Sabberjahr? Annas Eltern machen bald ein Sabberjahr und sind dann ganz lange irgendwo, wo es schön ist, und ich will auch ein Sabberjahr. Wann ziehen wir wieder um?» Oha, meine sechsjährige Tochter hat also Fragen. Okay. Abgesehen von der Tatsache, dass ich mir «Sabberjahr» als Begriffsalternative für Sabbatjahr zwecks späterer Kinderbuchverwendung dringend notieren muss, ist hier meine Einordnung gefragt.
Ich erkläre ihr also, so gut ich kann, das Konzept eines Sabberjahres (Das nun fortan auch Sabberjahr genannt wird, da brauchen Sie gar nicht so zu gucken oder so zu tun, als könnten sie an dem anderen, gänzlich überholten Begriff festhalten, wird Ihnen nicht gelingen!), das die Eltern ihrer Freundin offenbar planen. Das Konzept des mehrjährigen Lohnansparens, um dann ein Jahr aufgrund des Angesparten gar nicht mehr zur Arbeit zu müssen, erschliesst sich ihr beinahe zu gut.
Umzüge sind Stress
«Warum macht man das nicht immer so?», will sie wissen und geht dann direkt zu «Also wann ziehen wir denn nun um?!» über, was mich glücklicherweise davor bewahrt, mir eine halbwegs sinnvolle Antwort zur Arbeitszeitproblematik aus dem Hirn zu wringen. Ich erkläre ihr, dass wir mindestens so lange bleiben, bis ihre grossen Geschwister durch die Abiturphase sind. Also noch mindestens drei Jahre. Ausserdem sei es hier ja gerade so schön. Viele Freundinnen und Freunde, tolle Schule, nette Nachbarn, Sommer im Kanal baden, Arbeit gut. «Aber an der Ostsee war es auch schön!», wendet sie ein und hat natürlich recht damit. Wir reden noch ein bisschen, bis sie grummelnd und brummelnd abzieht, sich aber bereits drei Minuten später einer der Sachen widmet, wegen denen unser Zuhause hier so toll ist.
Umzüge sollten vermieden werden, weil Kinder Stabilität, Sicherheit und Routinen brauchen?
Mein Gedankenkarussell hat sie natürlich trotzdem angeschoben. Denn, dass wir als Familie mit vier Kindern dreimal quer durch Deutschland gezogen sind, beschäftigt mich immer wieder. Gar nicht so sehr, weil ich mich selbst darüber wundere, sondern weil unser jeweiliges Umfeld darüber sehr häufig einigermassen fassungslos ist. Immerhin wirken wir alles in allem relativ «normal» und «gefestigt», während genau das bei häufigen Umzügen im Kindesalter angeblich nicht der Fall sein kann.
Umzüge sind Stress. Umzüge sind eine Zumutung. Umzüge sollten vermieden werden, weil Kinder Stabilität, Sicherheit und Routinen brauchen. Die Tatsache, dass unsere Kinder grundsätzlich Stabilität, Sicherheit und routiniertes Verhalten an den Tag legen, erzeugt einiges an Irritation. Gelegentlich wird uns als Eltern sogar vorgeworfen, unsere Kinder zu einer wohlwollenden Wahrnehmung ihrer Umzüge hin zu manipulieren, obwohl sie die eigentlich scheisse finden. Und ich kann mir mittlerweile ganz gut vorstellen, woran das liegt.
Grossartige Familienbewegung
Es sind gar nicht die Umzüge an sich, sondern der Umstand, dass wir alle dazu neigen, in immer chaotischeren, unsichereren Zeiten die Ortsgebundenheit überzubewerten, weil wir darauf immerhin noch Einfluss nehmen können. «Umzüge gehen an Kindern nicht spurlos vorbei», lese ich zum Beispiel in Artikeln und denke mir «Ja, ach was?!». Sollten sie das etwa? Sollen unsere Kinder grundsätzlich spurlos bleiben? Was ist mit Schuleintritt? Beziehungsabbrüchen? Vereinswechseln? Einfach jeder grösseren Veränderung, die man sich so vorstellen kann?
Ich will Ihnen gar nicht erzählen, dass Umzüge unproblematische Nichtherausforderungen sind. Vieles kann schief gehen – wie immer eigentlich. Und vieles kann ganz grossartig werden. Wer Glück hat, sich geschickt anstellt und in liebevoller Wertschätzung zueinander bleibt – wie immer eigentlich.
Umzüge kann man also machen. Und falls es Sie wirklich interessiert, stelle ich hier irgendwann mal ein paar Tipps zusammen, wie sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen lässt, dass sie sich am Ende womöglich sogar sehr, sehr gut anfühlen – für alle Beteiligten.
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