
Wenn, wie jetzt während des Ukraine-Krieges, die Menschen mehr Fragen als Antworten haben, sind sie eine gefragte Spezies: Strategie-, Militär- und Sicherheitsexperten. Die Medien lassen sie deshalb derzeit besonders gerne zu Wort kommen.
Definitionsgemäss handelt es sich bei Experten um Leute, die sich auf einem Gebiet besser auskennen als die Allgemeinheit. Gerne werden sie uns als Leuchttürme präsentiert, die im Orkan des Weltgeschehens dafür sorgen, dass wir die Orientierung nicht verlieren. Der Sachverstand dieser fachlichen Autoritäten soll uns nicht zuletzt helfen, unsere aufgewühlten Gefühle in rationale Bahnen zu lenken.
So weit die Theorie. In der Praxis wissen wir natürlich alle, dass Experten auch eine Art mediale Medizinmänner sind. Wenn sie ihren beschwörenden Tanz aufführen, sind wir gebannt von ihrem Auftritt. So vergessen wir für einen Augenblick unsere eigene Ratlosigkeit. Experten stillen unsere Sehnsucht nach Einordnung. Sie machen das Unfassbare für uns fassbar. Auch wenn sich die bittere Realität dadurch nicht ändert.
Als der Krieg in der Ukraine losging, griff auch das Schweizer Fernsehen auf Experten zurück. Und siehe da: Die unterm Jahr viel kritisierten Leute in Leutschenbach machten einen ausgezeichneten Job. In Sondersendungen präsentierten sie uns zum Beispiel Oliver Thränert, Leiter eines Thinktank am ETH-Zentrum für Sicherheitsstudien. Der Mann argumentierte präzis, gefasst, ordnete die sich überstürzenden Nachrichten ruhig ein. Er neigte weder zum Dramatisieren noch zum Dozieren.
Prägnant war in diesen Sondersendungen auch der Auftritt von Georg Häsler Sansano, einem ehemaligen SRF-Journalisten, der heute für die «Neue Zürcher Zeitung» arbeitet. Als er zu Taktik und Strategie der Kriegsparteien befragt wurde, spürte man sofort, dass da einer weiss, worüber er redet: Häsler ist Oberstleutnant der Schweizer Armee.
Zwei Experten als Glücksfall – das kann man von der Mehrheit ihrer Kollegen (Expertinnen für Strategie- und Militärfragen sind offenbar rar) nicht behaupten. Es gibt zu wenige Thränerts und Häslers, dafür viel zu viele Schwurbler und Schamanen. Ihre eigene Ratlosigkeit tarnen sie mit Floskeln. Manche geben sich nicht einmal mehr die Mühe einer Tarnung.
Frage einer Zeitung an einen gewissen Andrei Soldatow, Experte für Geheimdienste: «Könnte die russische Armee putschen?» Antwort: «Das ist schwer zu sagen.» Nächste Frage: «Wie wird sich der Krieg auf Russland auswirken?» Dieselbe Antwort: «Schwer zu sagen.»
«Das ist schwer zu sagen.»
Auf die Frage eines Mediums, wie gross er den Widerstand in der russischen Gesellschaft gegen den Krieg einschätze, sagte der Historiker Karl Schlögel zwar ehrlich: «Das weiss ich nicht.» Als er aber gefragt wurde, ob der Welt ein Atomkrieg drohe, wich er aus: «Ich glaube, dass wir uns Putins ewiger Drohung, er drücke auf den roten Knopf, nicht unterwerfen dürfen.»
Im deutschen Wochenmagazin «Der Spiegel» kam Barry Pavel vom Atlantic Council, einem Washingtoner Thinktank, zu Wort. Seine Expertise zum Ukraine-Krieg würde wohl derzeit jeder Mann und jede Frau von der Strasse ähnlich formulieren: «Putins Schritte vorauszusagen, ist schwierig, sodass man sich auf das Schlimmste vorbereiten muss.»
Vom britischen Militärexperten Michael Clarke lasen wir, Putin könnte «bald erledigt» sein; der Ukraine-Krieg sei «ein massiver Fehler» und die Invasion «eine grosse Dummheit».
Historiker Karl Schlögel sagte übrigens über Wladimir Putin auch: «Das meiste, was er sagt, ist einfach lächerlich.»
Der Satz hat leider auch für fast jeden Experten Gültigkeit, der dieser Tage in den Medien auftritt.
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