Von Geheimnisverrat und Aufklärungspflicht
Vertrauliche Dokumente in den Medien: Ein Beispiel aus eigener Erfahrung – und ein Plädoyer für mehr Gelassenheit.

Vor einigen Wochen hat die Basler Zeitung ausführlich aus einem geheimen Protokoll der Finanzkommission zitiert. Bei dem Protokoll, in dem eine Befragung des Vorstehers des Bau- und Verkehrsdepartements, Hans-Peter Wessels, zu den Vorkommnissen bei den BVB im Zusammenhang mit der Tramlinie 3 dokumentiert wird, handelt es sich um eine provisorische Fassung, zu der ausschliesslich die 13 Mitglieder der Finanzkommission Zugang hatten. Angesichts der klaren Vertrauensverletzung hat das Büro des Grossen Rates beschlossen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Schon zuvor waren mehrmals als geheim klassifizierte Berichte der Finanzkontrolle und vertrauliche Papiere aus der BVB-Chefetage an die Öffentlichkeit gelangt.
Es handelt sich um eine klassische Güterabwägung, in der sich zwei legitime Interessen gegenüberstehen: die Pflicht der Medien, die Öffentlichkeit über die politischen Hintergründe von Entscheidungen zu informieren und Missstände aufzudecken, und das Bedürfnis von Verwaltung und Parlament, die Vertraulichkeit von Akten und Beratungen zu bewahren. Auf der einen Seite also das Geheimhaltungsinteresse des Staates, auf der anderen die Freiheit der Medien.
Bedingt abwehrbereit
In der Nacht des 26. Oktobers 1962 besetzten und durchsuchten Kriminalbeamte im Auftrag der Bundesanwaltschaft die Redaktionsräume des Spiegels in Hamburg und Bonn. Das Magazin hatte zwei Wochen zuvor unter dem Titel «Bedingt abwehrbereit» einen für das Verteidigungsministerium brisanten Bericht über ein Nato-Manöver veröffentlicht. Herausgeber Rudolf Augstein und Redaktor Conrad Ahlers kamen auf Veranlassung von Verteidigungsminister Franz Josef Strauss in Untersuchungshaft.
Nach vier Wochen Besetzung wurden die Räume der Spiegel-Redaktion wieder freigegeben. Die Verhafteten wurden entlassen – Augstein nach 103, Ahlers nach 56 Tagen. Ende November trat Strauss vom Ministeramt zurück. Der Spiegel hatte seinen Ruf als «Sturmgeschütz der Demokratie» gefestigt.
In seltenen Fällen müssen die Interessen des Staates höher gewichtet werden als die Freiheit der Berichterstattung. Als im September 1977 die Rote Armee Fraktion (RAF) den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführte, bat Bundeskanzler Helmut Schmidt, eine freiwillige Nachrichtensperre zu verhängen. Die Medien unterwarfen sich, zumindest in Deutschland, einer weitgehenden Selbstkontrolle.
Zurück nach Basel und der Problematik des Amtsgeheimnisses. Am 22. März 1993 entdeckte ich in meinem Briefkasten ein unbeschriftetes gelbes A4-Couvert. Keine Adresse, kein Absender. Im Umschlag befanden sich zwei Schriftstücke, die sich mit bisher unbekannten Details der Beziehungen des Polizeikommandos Basel-Stadt beziehungsweise des Polizeikommandanten Markus Mohler zur Geheimen Widerstandsorganisation P 26 befassten.
Zum einen handelte es sich um ein Schreiben des damaligen Leiters der Sicherheitsabteilung im Polizei- und Militärdepartement (PMD), Jules Stürzinger, an den Amtsvorsteher und Regierungsrat Karl Schnyder, unter dem Titel «Geheime Widerstandsorganisation P 26», datiert vom 10. Dezember 1990; zum andern um eine Protokollnotiz des damaligen Leiters der Spezialabteilung im PMD, Major Fischer, gerichtet auf dem Dienstweg an Regierungsrat Schnyder, unter dem Titel «Kontakte des Polizeikommandos mit E. Cattelan», datiert vom 11. Dezember 1990. Beide Herren nahmen den am 17. November 1990 erschienenen Bericht der PUK-EMD zum Anlass, ihrem Vorgesetzten zu versichern, dass sie bis zur Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes von den engen Beziehungen des Polizeikommandanten zur P 26 nichts wussten. Als verantwortlicher «Kontaktmann» wurde in beiden Schreiben der Polizeikommandant bezeichnet.
Die PUK-EMD unter Leitung des Appenzeller CVP-Ständerats Carlo Schmid hatte festgestellt, dass es für die Organisationen – die Geheimarmee P 26 und den geheimen Nachrichtendienst P 27 – «weder eine rechtliche Grundlage noch eine parlamentarische Kontrolle oder gar eine politische Zuständigkeit» gab.
Sein Name war Hase
Die Frage stellte sich, was ich mit den beiden offensichtlich streng vertraulichen Schreiben anstellen sollte. Ich reagierte in zwei Richtungen. Zum einen reichte ich als Präsident der SP-Fraktion eine Interpellation ein, in der ich die Regierung um eine detaillierte Darstellung der Beziehungen des Polizeidepartements zur Organisation P 26 bat, zum anderen wendete ich mich an -bi-, einen Redaktor der Basler Zeitung. Im Café Bachmann überreichte ich ihm am Sonntagmorgen die Schriftstücke zur journalistischen Verwertung. Der Regierungsrat antwortete wortreich und nebulös. Sein Name war Hase, und er wusste von nichts. Karl Schnyder klagte im Sonntagsblick: «Es ist mir unverständlich, wo das Leck ist. Ich halte diese Dokumente seit zwei Jahren unter Verschluss.» Oskar Reck fragte deshalb in der Weltwoche vom 1. April 1993 zu Recht: «Kann jetzt im Nachgang zu dieser Affäre der Basler Polizeidirektor nur einfach wieder darauf hinweisen, sein ihm unterstellter Kommandant Markus Mohler habe ihn wissen lassen, er selber sei nicht Mitglied der P 26 gewesen, auch wenn er Polizisten für diese Geheimarmee rekrutiert und ihre Spesen auf das Konto der P 26 gingen?» Reck beklagte, man «fahnde stattdessen nach den Enthüllern und kümmere sich nicht um die Affäre selbst».
Tatsächlich bemühte sich das PMD, allerdings vergeblich, den Informanten zu finden. Ich wurde auf die Staatsanwaltschaft im Lohnhof zitiert und nach meiner Quelle befragt. Erkenntnisgewinn null, da ich die Schreiben ohne Absender überreicht bekommen hatte.
Die Basler Zeitung übernahm in ihrer Berichterstattung und Kommentierung die Version der Regierung und des Polizeidepartements ohne Wenn und Aber. Ein Interesse an eigenen Recherchen oder wenigstens kritischen Nachfragen war damals nicht erkennbar. Wie schon in der Fichenaffäre, in der offensichtlich gelogen wurde, dass sich die Balken bogen, waren zwischen der Presseabteilung des PMD und der angeblich links-liberalen Lokalredaktion der Basler Zeitung kaum Unterschiede auszumachen.
Es ist deshalb der Basler Zeitung und anderen Medien nicht ernsthaft vorzuwerfen, dass sie ihnen zugespielte vertrauliche Papiere aus der Verwaltung oder dem Parlament entgegennehmen und verwerten. Immerhin hat vor allem auch die Linke laut geklatscht, als die Panama Papers an die Öffentlichkeit gelangten oder als deutsche Behörden vertrauliche Datenträger kauften und für die Fahndung nach Steuerbetrügern verwendeten.
Im Parlament haben Filippo Leutenegger (FDP) schon 2012 und Claude Janiak (SP) 2016 Vorstösse zur Verbesserung des Whistleblower-Schutzes im Strafrecht eingereicht. Demnach soll eine Verletzung des Amtsgeheimnisses nicht strafbar sein, wenn sie einem überwiegend öffentlichen Interesse dient.
Lust am Aufschrei
Die Aufklärung der Vorgänge innerhalb der BVB und bei den Zahlungen nach Frankreich im Zusammenhang mit der Linie 3 dienen offensichtlich diesem Zweck. Eine Zeitung, die solche vertraulichen Dokumente nicht verwertet, kann man gleich einstampfen. Andererseits ist der Ärger verständlich, wenn man in Parlamentskommissionen dauernd mit der Möglichkeit rechnen muss, dass vertrauliche Protokolle an die Medien weitergegeben werden. Der Konflikt ist programmiert.
Wer aber mit vertraulichen und heiklen Schriftstücken arbeitet, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein und ist zu einer besonderen Sorgfalt verpflichtet. Die pure Lust am Aufschrei der Öffentlichkeit oder an der knalligen Schlagzeile kann die journalistische Qualität nicht ersetzen. Journalisten dürfen nicht zu willfährigen Hilfstruppen eines politischen Projekts degradiert werden.
Statt Orientierung und Aufklärung zu liefern und statt einzuordnen und abzuwägen, bedienen die Medien immer häufiger Erregungsmaschinen. Auf dem Schlachtfeld des Empörungsrausches und der permanenten Skandalisierung enden dann nicht nur schuldige oder unschuldige Opfer, sondern vor allem die Glaubwürdigkeit der Zeitungsmacher selbst. Die Basler Zeitung hat für diese Fehlentwicklung ein eindrucksvolles und hoffentlich lehrreiches Beispiel geliefert.
Der Politik kann ich aber nur mehr Gelassenheit empfehlen und die Erkenntnis, dass eine unbequeme kritische Presse für eine Demokratie unverzichtbar ist.
«Ich habe die Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen», sagte die Schriftstellerin Agatha Christie einmal. Noch steht dieser Satz nicht über dem Eingang ins Rathaus.
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