Volksschule darf nicht nur auf die Besten setzen
Wer die Vergleichstests kritisiert, setzt sich dem Vorwurf aus, nach Entschuldigungen für die eigenen schlechten Resultate zu suchen. Entschuldigungen gibt es keine, Gründe vielleicht aber schon.

Es mag sein, dass für ein erfolgreiches Berufsleben Innovationsfähigkeit und Kreativität wichtiger sind als ausreichende Mathematik-Kompetenzen. Doch dies ist noch lange kein Grund, die schlechten Mathe-Resultate bei den gesamtschweizerischen Vergleichstests auf die leichte Schulter zu nehmen. Ungenügende Grundkompetenzen in Mathematik sind ein Handicap.
Die national durchgeführten Tests dürfen selbstverständlich kritisiert werden. Die Mathe-Ambitionen der Aufgabenerfinder waren möglicherweise etwas hoch angesetzt. Die Schülerinnen und Schüler waren möglicherweise zum Zeitpunkt der Tests vor den Ferien auch nicht besonders motiviert. Die studierten Pädagogen haben zwar unzählige Kompetenzen in den Lehrplan geschrieben, aber möglicherweise nicht überlegt, über welche Fähigkeiten Schülerinnen und Schüler beim Schulabschluss verfügen sollten. Doch wer immer auch in der Nordwestschweiz die Tests kritisiert, setzt sich dem Vorwurf aus, nach Entschuldigungen für die eigenen schlechten Resultate zu suchen. Entschuldigungen gibt es keine, Gründe vielleicht aber schon.
Generell bessere Mathe-Resultate weisen die Westschweizer Kantone aus. Ihnen gemeinsam ist ein anderer Lehrplan. Anders als die 21 Kantone der Deutschschweiz wurden die Schulen in der Romandie nie von der Flut der unzähligen Kompetenzenbeschreibungen des Lehrplans 21 heimgesucht.
Zwar orientiert sich auch die Romandie an Kompetenzen, aber im Fokus stehen das Wissen und die konkreten Schulstoffe. Die Romands blicken in den Schulen stärker als die Deutschschweiz auf die Zeit nach der Volksschule. Schliesslich geht es bei den viel diskutierten Grundkompetenzen darum, den Schulstoff zu vermitteln, den es im Minimum für den späteren Erfolg braucht.
Grosse Kantone besser als Basel
Mit ungenügenden Mathe-Kompetenzen konfrontiert sehen sich gemäss den Testergebnissen alle vier Kantone des Nordwestschweizer Bildungsraums, nicht nur die Stadt Basel. Bessere Resultate als die Nordwestschweizer Kantone verzeichnen nicht nur viele ländliche Kantone, sondern auch Kantone mit grösseren Agglomerationen wie Genf, das Tessin oder die Waadt. Ausführlich untersucht wurde in der Analyse auch der Einfluss der sozialen Struktur der Bevölkerung oder der Anteil fremdsprachiger Schülerinnen und Schüler. «Das Gesamtbild an über- und unterdurchschnittlich abschneidenden Kantonen verändert sich trotzt dieser Adjustierung kaum», lautet das brutale Fazit dieses Erklärungsversuchs.
Auffällig ist, dass in den Nordwestschweizer Kantonen bei der Niveau-Einteilung in den Sekundarschulen ein überdurchschnittlicher Trend nach oben feststellbar ist. In Basel-Stadt drängt demnach mehr als die Hälfte ins progymnasiale Niveau. Die ausgedünnten Klassen des Niveaus mit nur Grundansprüchen sind die Kehrseite dieses Trends. Bei den Schülerinnen und Schülern des Schultyps mit nur Grundanspüchen sind die Differenzen zu anderen Kantonen wesentlich grösser.
Sie haben in überdurchschnittlichem Mass zum schwachen Gesamtresultat beigetragen. In Basel-Stadt liegt deren Mathe-Erfolgsquote nahe bei null. Möglicherweise überfordert auch der Lehrplan 21 die weniger guten Schülerinnen und Schüler.
Es ist sicher nicht falsch, in den nächsten Jahren einen Blick auf die Praxis in den erfolgreichen Kantonen zu werfen.
Die nationale Studie zu den Vergleichstests vermittelt keine Patentrezepte. Empfehlungen enthält sie aber schon. So seien etwa die Unterrichtsbedingungen vertieft zu untersuchen: die wahrgenommene Unterstützung, die Strukturierung des Unterrichts, die Klassenführung. Es ist sicher nicht falsch, in den nächsten Jahren einen Blick auf die Praxis in den erfolgreichen Kantonen zu werfen.
Und: Dievier Kantone des Bildungsraums Nordwestschweiz verfügen mit der Fachhochschule über eine gemeinsame Bildungsinstitution, die logischerweise jetzt herausgefordert ist, ihren Anteil zu künftig verbesserten Mathematik-Grundkenntnissen zu leisten.
Wer aus den Vergleichstests gleich schliesst, dass die Nordwestschweizer Schulen schlechte Schulen sind, liegt nicht richtig. Die Erfolgsquoten an den Universitäten und bei den Berufsabschlüssen belegen das Gegenteil. Doch offensichtlich reichen gute Spitzenresultate nicht, bei Vergleichstests auf allen Niveaus akzeptabel abzuschliessen. Einfach zur Tagesordnung übergehen, wie dies etwa die Basler
Erziehungsdirektion will, genügt deshalb auf keinen Fall. Es braucht Verbesserungen, denn die Volksschule darf nicht nur die Besten im Fokus haben. Minimale Mathematik-Kenntnisse sind in vielen Berufen notwendig. Es ist deshalb richtig, dass in Baselland die Bildungsdirektion Massnahmen angekündigt hat.
Die Verteilung der Bildungsressourcen ist in der Nordwestschweiz stark auf die Erfolgreichen ausgerichtet. Eine eigene Universität und eine eigene Fachhochschule belegen dies auch. Doch die Ausbildung in den Hochschulen sollte nicht zulasten anderer Bildungsinstitutionen gehen. Wenn ein Fazit aus den Tests gezogen werden kann, dann dieses: Gute Bildung darf kein Privileg der Elite sein. Entsprechend darf auch die Volksschule nicht einseitig auf die Besten setzen.
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